Dort, wo alles begann, auf dem Gelände der einstigen Guss-Stahlfabrik, hat Thyssenkrupp 2010 eine spektakuläre Zentrale gebaut

Für die Führung durch den Thyssenkrupp-Campus haben sich die 14 Leser nicht nur einen der heißesten Tage des Jahres ausgesucht. Auch beim Stahlriesen geht es heiß her, seid Wochen steckt er in einer schweren Krise. Der Vorstandschef Heinrich Hiesinger und der Aufsichtsratvorsitzende Ulrich Lehner sind zurückgetreten, „in den oberen drei Vorstandsetagen gibt es zurzeit viel Platz“, sagt Gästeführer Christoph Wilmer, als er zu Beginn des Rundgangs vor dem gläsernen Kubus Q1 steht, der mit seiner Höhe von 50 Metern alle anderen Gebäude überragt. Viel mehr Kommentare zur aktuellen Situation gibt es aber vom Historiker Wilmer nicht. Stattdessen erst einmal einen kleinen Ausflug in die Krupp-Firmengeschichte. Denn auf dem Campus ist alles vereint: Gegenwart und Vergangenheit.

Gigantische Anlage mit rauchenden Schloten

Letztere steht ein paar Meter entfernt: Im Schatten des gläsernen Riesen duckt sich das Kruppsche Stammhaus. Von 1824 bis 1861 diente es als Wohnhaus der Familie. Drumherum wuchs die Guss-Stahlfabrik in einer atemraubenden Geschwindigkeit. Ein Stich aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts zeigt eine gigantische Anlage mit rauchenden Schloten und langgestreckten Montagehallen, die wie eine Stadt wirkt.

„Kaum vorstellbar, dass es hier einmal so ausgesehen hat“, sagt Leser Peter Brune. Der kann sich besser an den Krupp’schen Gürtel seiner Kindheit erinnern: ein riesiges, teilweise zugewuchertes Gelände, wo der heute 66-Jährige gerne mit seinen Freunden herumstromerte. „Natürlich war das verboten. Aber wir fanden immer eine überwindbare Lücke im Zaun.“

Campus für 3000 Mitarbeiter

Der Zaun fiel erst 2010: Mit der Eröffnung der Unternehmenszentrale auf dem einstigen Fabrikgelände schloss sich nach knapp 200 Jahren der Kreis. Wo alles anfing, da ließ das Unternehmen einen großen, repräsentativen Campus für 3000 Mitarbeiter bauen. Neben dem imposanten Q1 gehören acht weitere Gebäude (darunter das Kreuzgebäude von 1985), Parkhaus, Tiefgarage und Kita dazu. Das ganze Ensemble wirkt hell und weitläufig, drumherum gibt es viel Wasser und viel Grün.

„Zur neuen Firmenphilosophie gehört es, sich offen und transparent zu zeigen“, sagt Christoph Wilmer, „das sollte sich vor allen in der Architektur ausdrücken.“ Zwar steht der Campus allen Bürgern offen, aber in die durchnummerierten Q-Gebäude finden nur die Mitarbeiter Einlass. Und heute die WAZ-Leser. „Wahnsinn“, entfährt es Gabriele Miele, als die Gruppe in der riesigen gläsernen Eingangshalle des Hauptgebäudes steht und nach oben schaut. Computergesteuerte Lamellen vor der Fassade steuern den Sonneneinfall und sorgen für gutes Klima. Zwei Aufzüge aus Milchglas sausen geräuschlos an den Wänden auf und ab. „Hier zeigt Thyssenkrupp auch seine geballte Technik- und Technologiekompetenz“, erklärt Christoph Wilmer.

Panoramafenster hängt an Stahlseilen

Drei Etagen höher führt er die Gruppe vor das 26 mal 28 Meter große „Glasauge“, dessen einzelne Scheiben (jede 450 Kilo schwer) an langen Stahlseilen aufgehängt sind. Der Blick in den Essener Himmel ist von hier aus einfach nur großartig, „allein dafür hat sich der Rundgang schon gelohnt“, lautet das einhellige Urteil der Leser.