Essen. Sara (15) möchte Konditorin werden, doch ihre Praktikumssuche verlief ergebnislos. Ihr Bruder sagt,sie werde wegen ihres Kopftuchs diskriminiert.
Sara Abdul Latif ist 15 Jahre alt, besucht die Gesamtschule Nord und trägt ein Kopftuch. Glaubt man ihrem Bruder Ibrahim (27), ist Letzteres ein Riesenproblem: Mehrfach habe sich seine Schwester für eine Praktikumsstelle als Konditorin beworben und Absagen kassiert, „weil sie ein Kopftuch trägt“. So hat es Ibrahim auf Facebook gepostet, Hashtag „Alle Menschen sind gleich“.
Ibrahims Appell: Wer der Schülerin eine Chance geben wolle, solle sich bei ihm melden: „Sara ist hochtalentiert!“ Als ausgebildeter Koch und autodidaktischer Patissier könne er das beurteilen. „Sie backt seit langem, macht tolle Torten.“ Als Sara jetzt einen Betrieb suchte, bei dem sie in der 10. Klasse ihr Jahrespraktikum machen könne, rief Ibrahim für sie in einer Konditorei an. „Am Telefon waren die total begeistert.“ Als sie aber wie vereinbart in das Geschäft kamen, „verzog die Frau das Gesicht und war sehr unhöflich“, erzählt Sara. Man habe keinen Praktikumsplatz für sie.
„Es hieß, ohne Kopftuch bekomme sie das Praktikum“
Ein zweites Vorstellungsgespräch sei ähnlich eisig verlaufen. Dann habe Sara Post bekommen: Wenn sie das Tuch ablege, könne sie das Praktikum antreten. Den Brief haben die Geschwister nicht mehr, sie hätten ihn vor Wut zerrissen. „Hierzulande fehlen doch sogar Fachkräfte“, ärgert sich Ibrahim. Die Namen der Konditoreien nennt er leider nicht: Er sei selbst in der Branche tätig und wolle niemandem schaden.
Die Betriebe kann man also nicht fragen, wieso sie Sara abblitzen ließen. Bei der Kreishandwerkerschaft wiederum wundert man sich. „Wir haben viele muslimische Frauen mit Kopftuch, die eine Ausbildung machen – in allen Gewerken“, sagt Geschäftsführer Jens Kastrup, der für die Konditoren zuständig ist. In diesem Beruf müsse man in der Küche eh eine Kopfbedeckung tragen. Es stelle sich höchstens die Frage, inwieweit das Kopftuch den hygienischen Standards entspreche. Und an einer Schule im Essener Norden hat man noch nie erlebt, dass eine Schülerin wegen eines Kopftuchs kein Praktikum bekommen habe.
Alle Töchter hätten sich allein für das Tuch entschieden
Saras Schwester Kausar (21) sagt dagegen, ihr Kopftuch habe ihr bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz geschadet. Dafür studiert sie nun. „Andere Familien verheiraten die Töchter jung, wenn sie keine Arbeit finden“, erzählt die Mutter. Das könne ja niemand wollen.
Er habe Sara daher abgeraten, schon mit 13 Jahren das Kopftuch anzulegen, das sei zu früh gewesen, erklärt Ibrahim. Entschiedener Gegner des umstrittenen Stoffstücks ist er nicht. Mit 16 oder 17 kann sich ein Mädchen dafür entscheiden. Auch Saras Mutter betont, alle ihre Mädchen hätten sich alleine dafür entschieden: „Aber für mich ist das schön, weil ich selbst Kopftuch trage.“
„Die Leute beschimpfen mich als Scheiß-Ausländerin“
Für Sara ist das Kopftuch-Tragen nicht immer schön: „Auf der Straße werde ich oft beschimpft. Vor allem, seit so viele Flüchtlinge hier sind.“ Viele Leute glaubten wohl, auch sie sei kürzlich zugewandert und verstehe kein Deutsch, erzählt Sara. „Die sagen Scheiß-Ausländerin und so.“ Ablegen werde sie das Tuch deswegen nicht: „Ich zeige meine Religion, darauf bin ich stolz.“
Solidarisch meldeten sich nach Ibrahims Facebook-Appell viele türkische und arabische Cafés. Jetzt habe aber auch ein deutscher Bäcker signalisiert, ihr ein Praktikum geben zu wollen: Er beschäftigt bereits eine Auszubildende mit Kopftuch.
>> HANDWERK SUCHT QUALIFIZIERTE BEWERBER
Im April meldete das Essener Handwerk so viele offene Lehrstellen wie lange nicht. 162 freie Ausbildungsplätze gab es bei der Lehrstellenbörse der Kreishandwerkerschaft. Es sei schwierig, qualifizierte Bewerber zu finden.
Angeboten wurden u.a.: Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- u. Klimatechnik (29 Plätze), Elektroniker Energie- und Gebäudetechnik (20), Maler u. Lackierer (22), Friseure (15), Metallbauer (6), Konditoren (5), Bäckerei-Fachverkäufer (5), Tischler (5).