Essen. Regelmäßig treffen sich ehemalige Koker, um in Erinnerungen zu schwelgen. Sie haben sich mit ihrer Arbeit und der Arbeitsstätte identifiziert.
Wenn am Samstag das halbe Ruhrgebiet den Strukturwandel mit der Extraschicht feiert und in die ehemaligen Industrie-Tempel pilgert, dann wird den 13 älteren Herren, die sich regelmäßig im Kokereicafé treffen, ganz weh ums Herz: Denn am Samstag vor genau 25 Jahren, am 30. Juni 1993, wurde die Kokerei Zollverein geschlossen, verloren sie und über 700 weitere Menschen ihren Arbeitsplatz.
„Das war die schnellste Schließung, die die Ruhrkohle AG jemals in ihrer Geschichte vorgenommen hat“, erinnert sich Hans Mrug (82), der das Labor der Kokerei leitete. Am 15. Februar 1993 wurde die Stilllegung beschlossen und bekanntgegeben und nur vier Monate später vollzogen. „Es gab vorher keine Anzeichen, keine Gerüchte. Wir haben nicht mit der Schließung gerechnet, sind aus allen Wolken gefallen“, sagt Dieter Hokamp.
Modernste Kokerei Europas
Der 82-Jährige war bis zuletzt Betriebsführer auf der Kokerei. Die wurde 1961 erbaut und zählte europaweit zu den modernsten und leistungsfähigsten. Dann erloschen die Koksöfen für immer – und Dieter Hokamp begann, sich Monat für Monat mit einer kleinen Gruppe ehemaliger Kollegen auf dem Gelände zu treffen und in Erinnerungen zu schwelgen. „Hier zu arbeiten, das war einfach etwas ganz Besonderes“, erklärt Peter Hullermann die ungewöhnliche Treue zur alten Arbeitsstätte und zu den Kollegen.
Hullermann ist jetzt 62 Jahre alt und gehörte damals zu den Jungspunden – obwohl er bereits 14 Jahre dabei war, zuletzt als Reviersteiger. „Ich habe die ersten Jahre nach dem Aus die Kokerei gemieden wie die Pest“, erzählt er. Zu tief saß die Enttäuschung und der Schmerz. „Meine ganze Familie hat hier gearbeitet. Das war für uns mehr als nur ein Arbeitsplatz, das war Heimat.“
Zusammenhalt und Identifikation
Mittlerweile hat er sich mit der „neuen“ Kokerei Zollverein, die 2001 zum Weltkulturerbe ernannt wurde, versöhnt. Mehr noch, seit vier Jahren führt er Gäste aus dem ganzen Land über die Kokerei und die benachbarte Zeche. Aber die Erinnerungen, sie überfallen ihn immer wieder. Was auch an dem regen Austausch mit den Kollegen von einst liegt. „Ich glaube, Außenstehenden kann man nur schlecht erklären, was uns verbindet“, sagt Dieter Hokamp. Der Zusammenhalt sei eben groß gewesen, so wie der Stolz, hier arbeiten zu dürfen. „Wir haben uns mit unserer Arbeit, mit dem Ort und dem Arbeitgeber zu hundert Prozent identifiziert.“ Der hätte nach der Schließung mit einem guten Sozialplan dafür gesorgt, dass „niemand ins Bergfreie fällt“ – so lautete der Slogan, den die Ruhrkohle AG damals ausgab. Deswegen gab es auch kaum Proteste unter der Belegschaft.
Dass der anfängliche Plan, die komplette Anlage nach China zu verkaufen, nicht realisiert wurde, finden die Koker gut. Nicht nur, weil sie so immer einen Platz haben, an dem sie zusammenkommen. Sondern so konnten sie auch im Laufe des vergangenen Vierteljahrhunderts hautnah miterleben, wie sich das Gelände entwickelte. „Klar waren wie erst einmal sehr skeptisch, als Zollverein zum Weltkulturerbe ernannt wurde“, sagt Koker Peter Iwinski. „Uns fehlte auch einfach die Vorstellungskraft, was in dieser Industrieanlage stattfinden sollte“, ergänzt Theo Siebert (78), ehemaliger Leiter des Maschinen - und Elektrobetriebes.
Es bleibt spannend auf dem Welterbe
Die Skepsis hielt nicht lange an – schon 1999, als in der einstigen Mischanlage die erste Ausstellung „Sonne, Mond und Sterne“ gezeigt wurde, waren die Koker „von den Socken“, so Hokamp. Ein gutes Gefühl, das bis heute anhält. Denn es bleibt spannend: Immer noch gibt es Kokereigebäude, die auf eine neue Bestimmung warten. Deren Sanierung soll bis 2020 abgeschlossen sein. „Jungs, so lange müssen wir noch aushalten“, lautet Theo Sieberts Appell.
In einer Kokerei wird durch Erhitzen von Kohle unter Sauerstoffabschluss Koks erzeugt. Koks wird in den Hochöfen bei der Stahlproduktion benötigt. Zu Betriebszeiten waren auf der Kokerei bis zu 1000 Koker rund um die Uhr im Einsatz. Pro Tag wurden bis zu 8600 Tonnen Koks produziert.
Die Kokerei hatte nichts mit der Zeche Zollverein zu tun. Beides waren eigenständige Betriebe. Allerdings kam die Kohle für die Kokerei von der Zeche