Essen-Freisenbruch. . Flucht, drohende Abschiebung und das Wiedersehen mit den Eltern: Kuvinthan Yogarathnam (31) kam als unbegleiteter Flüchtling aus Sri Lanka.

Als Kuvinthan Yogarathnam vor 13 Jahren den Brief in Händen hielt, in dem der Termin für seine Abschiebung stand, brach für den 18-Jährigen zunächst eine Welt zusammen. Er war als Zehnjähriger ohne Eltern aus Sri Lanka geflüchtet, als dort ein blutiger Bürgerkrieg tobte. In Steele hatte er nun längst in der Schule und im Sportverein Fuß gefasst. Was nach diesem Schreiben der Ausländerbehörde in Essen folgte, war ein riesiger Einsatz von Bischof, Bekannten, Freunden und Vereinskollegen, die damals forderten: „Kuvi muss bleiben.“ Und er blieb.

Der 31-Jährige lebt heute in Freisenbruch, hat inzwischen geheiratet und arbeitet selbst mit jungen Flüchtlingen im Restaurant Hayati im Grillo-Theater. Als stellvertretender Betriebsleiter übernimmt er den Service oder Kassenbereich, macht die Dienstpläne und den Kollegen mit seiner Geschichte manchmal auch ein wenig Mut. „Ich bin am richtigen Ort, um ein bisschen Vorbild zu sein und zu zeigen, dass man es schaffen kann.“

Vorbild für andere Geflüchtete

Mit acht Jahren wurde Kuvinthan Yogarathnam von seinen Eltern getrennt,

Vor 13 Jahren: Kuvinthan Yogarathnam, den seine Freunde „Kuvi“ nennen, in Steele, wo er aufwuchs und Fußball spielte.
Vor 13 Jahren: Kuvinthan Yogarathnam, den seine Freunde „Kuvi“ nennen, in Steele, wo er aufwuchs und Fußball spielte. © Udo Geisler

floh zwei Jahre später mit seiner Tante nach Deutschland, wo er dennoch als unbegleiteter Flüchtling galt. Er lebte erst in Borbeck, dann im Frillendorfer Asylheim, kam mit 14 Jahren schließlich ins Steeler Kinderheim der Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung, wo er in den Erziehern Bezugspersonen fand. Er begann seine Schullaufbahn in der dritten Klasse, lernte schnell Deutsch, verdrängte hingegen zum Selbstschutz sowohl seine Muttersprache Tamilisch, als auch die ständigen Gedanken an seine Eltern.

Ein Caritas-Mitarbeiter übernahm die Vormundschaft, Rudi Löffelsend von der Caritas-Flüchtlingshilfe wurde Pate bei der Taufe und stand bis heute so manche schwierige Situation mit seinem Schützling durch. „Es war ein Riesenglück, dass Rudi immer da war“, sagt Kuvinthan Yogarathnam. „Es sind Menschen, zu denen ich ein familiäres Verhältnis habe, die mich privat sowie schulisch auf den Weg gebracht haben.“

In der neunten Klasse drohte die Abschiebung

Als er aber mit 18 Jahren die neunte Klasse besucht und seine Gedanken nur um die Oberstufe kreisen (die Empfehlung für die Gesamtschule lag vor), folgt der Schock: „Ich sollte in ein Land, das mir inzwischen fremd geworden war.“ Hinzu kommt, dass es bis dahin niemandem gelungen war, seine Eltern aufzufinden. Während er vor Angst gelähmt ist („statt Oberstufe schaffte ich knapp den Hauptschulabschluss“), startet eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft, die selbst dann nicht abebbt, als die Härtefallkommission sein Anliegen beim ersten Termin ablehnt. Der Weihbischof wendet sich an den Oberbürgermeister, die Kameraden des SC Steele 03/20 sammeln unermüdlich Unterschriften für ihren Mitspieler und Trainer der F-Jugend. Schließlich lenkt das Ausländeramt ein, verlängert die Aufenthaltserlaubnis zunächst um ein Jahr, mit der Option, dass er auch danach noch bleiben darf und verbindet das mit der Auflage, dass der 18-Jährige für seinen Unterhalt sorgen muss.

Er steckt schließlich mitten in der Ausbildung zum Koch, als ihn 2011 erneut ein Brief der Ausländerbehörde aus dem Alltag reißt: „Sie haben meine Eltern gefunden“, sagt der 31-Jährige, bei dem das damals Freude und Angst auslöst. Erst will er gar nicht nach Sri Lanka. Bis zum Wiedersehen vergeht ein Jahr mit zahllosen Gedanken darüber, wie und warum sie damals getrennt worden sind. Plötzlich hat er seine Eltern und Geschwister wieder. Das alles zu verarbeiten, gelingt nur mit Hilfe von Freunden und Therapeuten.

Erste Begegnung mit der Familie nach 17 Jahren

Die erste Begegnung nach 17 Jahren beginnt auf der Busfahrt von der Hauptstadt ins Dorf mit bedrückender Stille, gefolgt von vielen Tränen und dem überwältigenden Gefühl, was Familie bedeutet. „Nach sechs Wochen wollte ich nicht mehr weg“, erinnert sich Kuvinthan Yogarathnam an ihren liebevollen Umgang. Die Rückreise fällt ihm schließlich noch schwerer als der Hinflug, denn sein Herz hängt an Sri Lanka, auch wenn sein Kopf sagt, dass seine Zukunft in Essen liegt. „Als die Abschiebung drohte, hätte ich sofort Deutschland meine Heimat genannt.“ Nun spürt er eine neue Zerrissenheit und seinen großen Wunsch, bei seiner Familie zu sein.

Heute telefoniert er täglich mit seinen Eltern. Im vergangenen Jahr hat er zwar in Sri Lanka eine Einheimische geheiratet, sich aber auch entschlossen, in Essen zu leben und hier eine eigene Familie zu gründen. Seine Eltern und Geschwister in Sri Lanka werde er weiter unterstützen und sehen, so oft es geht. Jetzt wartet er darauf, dass seine Frau zu ihm nach Freisenbruch kommen darf.

„Ich bin angekommen“, sagt er, hadert nicht mehr mit seinem Schicksal und möchte vor allem eines: nach vorn schauen. Seine Aufenthaltserlaubnis gelte noch bis 2019, sagt Kuvinthan Yogarathnam lächelnd, jetzt werde es endlich Zeit, einen Antrag zur Einbürgerung zu stellen.

>>FUßBALL UND FREUNDE

Fußball spielt Kuvinthan Yogarathnam heute beim TC Freisenbruch . Sein Trainer ist Peter Schäfer – wie schon beim SC Steele 03/20. Er sendete über 1000 Mails etwa an Politiker, als die Abschiebung drohte.

„Ich bin stolz und gerührt, was meine Freunde für mich getan haben und möchte auch etwas zurückgeben“, sagt Kuvinthan Yogarathnam dankbar.