Zur Halbzeit seiner Amtszeit zieht Oberbürgermeister Kufen Bilanz: Seine bisher größte Herausforderung, und was er heute anders machen würde.

Herr Kufen, wir haben es dank einer repräsentativen Umfrage jetzt schriftlich: Die Bürger sind größtenteils zufrieden mit Ihrer Arbeit. Worauf führen Sie das zurück?

Thomas Kufen: Offenbar wird anerkannt, dass ich mich reinhänge hier, von morgens bis abends und oft von Montag bis Sonntag. Als Oberbürgermeister ist man vom Gullydeckel bis zum Weltfrieden für alles zuständig und verantwortlich. Beides ernst zu nehmen, das große Ganze und die kleinen Sorgen und Nöte, das scheint mir bisher ganz gut gelungen zu sein.

Welche Resonanz erhalten Sie? Verfolgt die Kommunalpolitik die richtigen Themen oder ist man auch dort oft weit entfernt von dem, was die Menschen wirklich bewegt?

Ich bin sehr viel in den verschiedenen Stadtteilen unterwegs und erlebe eine starke, engagierte Bürgerschaft. Die Bürgerinnen und Bürger sind stolz auf das, was wir hier erreicht haben. Und gleichzeitig sind die Essenerinnen und Essener realistisch und wissen, dass Probleme, die über Jahre und Jahrzehnte entstanden sind, nicht über Nacht verschwinden. Integration, Kinderarmut, Arbeitslosigkeit, städtebauliche Probleme – schnelle Lösungen gibt es nicht. Aber wir arbeiten dran. Zum Beispiel mit unserem Investitionsprogramm, um Schulen, Kitas, Sportstätten, Straßen zu sanieren. Das wird anerkannt.

Sie hatten keine Scheu, sich das politisch aufgeladene Wort von der „Obergrenze“ bei der Flüchtlingsaufnahme zu eigen zu machen. Auch beim Konflikt um die Essener Tafel haben Sie sich klar zugunsten der Essener Akteure positioniert. Gehört Klartext reden zu Ihrer Strategie?

Die Bürgerinnen und Bürger können zu Recht erwarten, dass ich zu wichtigen gesellschaftlichen Fragestellungen eine klare Meinung äußere und nicht Wischiwaschi.

...und über den kommunalen Tellerrand blicken?

Essen gehört zu den zehn größten Städten in Deutschland und ist von vielen landes- wie bundespolitischen Themen konkret betroffen. Ich halte es daher für richtig und sinnvoll, mich auch zu bundes- und landespolitischen Themen, wie zum Beispiel zum Kopftuchtragen in Grundschulen, zum Dieselfahrverbot oder zur Verbundenheit mit Israel zu äußern. Ich kann damit leben, dann neben Zustimmung auch Kritik zu ernten.

Hat Sie das Amt konservativer gemacht?

Ich bin konservativ wie auch liberal und christlich-sozial geprägt.

Thema Integration: „Wir brauchen klare Regeln für das Zusammenleben.“

Der Oberbürgermeister Thomas Kufen redet definitiv anders als der Integrationsbeauftragte des Landes NRW, der Sie auch mal waren.

Es sind auch zwei sehr unterschiedliche Aufgaben mit unterschiedlichen Anforderungen. Als Oberbürgermeister bin ich immer noch begeistert von der Integrationskraft dieser Region. Aber ich bin auch nicht naiv. Es gibt offensichtlich auch Leute, die wollen sich nicht integrieren oder es wird ihnen nicht die Gelegenheit gegeben. Deutsch lernt man nur, wenn man deutsch spricht, da sind durchaus beide Seiten gefragt, die Zuwanderer und die, die schon länger hier leben. Wir brauchen klare Regeln für das Zusammenleben. Sicherheit und Ordnung gehören für mich zu einer lebenswerten Stadt. In Essen muss es möglich sein, sich zu jeder Tages- und Nachtzeit ohne Einschränkung überall aufzuhalten. Das muss verteidigt werden.

Was war die größte Herausforderung Ihrer bisherigen Amtszeit?

Innerhalb von zwei Jahren fast 9000 Menschen unterzubringen und vor Obdachlosigkeit zu bewahren. Ich hatte bei Amtsantritt gesagt, die Flüchtlingskrise wird unsere Stadt verändern, und leider habe ich recht behalten.

Wieso leider?

Weil diese Veränderung vielen Essenern auch Angst macht.

Zu Recht?

Ängste sind weder falsch noch richtig. Ich bekomme die Rückmeldung, dass sich Bürger durch Zuwanderung fremd in ihrem eigenen Stadtteil fühlen. Und andererseits sage ich: Zuwanderung und Veränderung gehören seit jeher zur Geschichte der Stadt Essen. Und wir sind statistisch die sicherste Großstadt in NRW.

Aber sind diese Ängste nun berechtigt oder nicht?

Ängste entstehen oftmals aus Unsicherheit. Dem begegnet man am besten mit klaren Regeln. Deshalb müssen wir klar sagen, wo unsere Grenzen liegen und dafür sorgen, dass diese Regeln eingehalten werden. Ob Grillgelage in Parks, wilde Müllkippen, oder Jugendliche, die keinen Respekt vor anderen haben. Großstadt heißt auch große Freiheit. Und die kann ausgenutzt werden. Das Leben in einer Großstadt ist da, wo soziale Kontrolle fehlt, immer auch mit Zumutungen verbunden.

Sie sprachen gerade das Thema Unterbringung in der Flüchtlingskrise an. Hat Essen da finanziell nicht arg sorglos, um nicht zu sagen verschwenderisch agiert?

Wir wollten es besonders gut machen. Mit dem Wissen von heute hätte natürlich manches anders ausgesehen. Aber das ist vergossene Milch. Wir haben – wie ich finde – rechtzeitig unsere Ausbaupläne korrigiert, auch wenn manche sagen, es war zu spät.

Das kann man wohl sagen. Einige fanden, es geschah recht spät. . .

Es ist aber eben was anderes, ob ich im Stadtrat eine Rede halte oder Ihrer Zeitung ein forsches Interview gebe. Die Verwaltung musste damals komplexe Aufgaben bewältigen, mit europaweiten Ausschreibungen, und am Ende gibt es eine politische Verantwortung. Wir haben sicherlich mit ordentlich Sicherheitspuffer gearbeitet. Bei der nächsten Flüchtlingskrise würden wir manches anders machen, aber ich kann nicht ausschließen, dass dann auch wieder Fehler passieren.

Wir halten also fest, Fehler sind passiert.

Zehn Zeltdörfer aufzubauen, war nicht besonders schlau. Die haben wir zum Glück nie im vollem Umfang gebraucht. Das hatte aber nichts mit der Weitsicht deutscher Politik zu tun, sondern mit dem Schließen der Balkanroute. Der Einfluss der Stadt Essen darauf war überschaubar.

Bereuen Sie eigentlich Ihr Wort von der Obergrenze?

Nein. Ich habe immer gesagt, auch in einer weltoffenen und toleranten Stadt wie Essen gibt es Grenzen der Aufnahmefähigkeit, die wir besser nicht austesten sollten. Da waren wir 2015 und 2016 sehr nahe dran.

Essen will wachsen, was Wohnungsbau voraussetzt. Wie wollen Sie dafür mehr Verständnis wecken?

In der ehemaligen Montanstadt Essen hat Grün einen höheren Stellenwert als anderswo. Außerdem ist das Verhältnis zwischen Einwohnerzahl und Stadtfläche relativ ungünstig. Wir sitzen schon ziemlich dicht aufeinander. Wenn wir nichts tun, wird es aber nicht besser, dann steigen die Mieten und wir treiben gerade Familien mit kleinen Einkommen raus aus der Stadt. Wir haben deshalb etwas Neues vor

Beim Wohnungsbau haben die Bürger das letzte Wort

Nämlich?

Wir wollen im November 500 Bürgerinnen und Bürger in einen Workshops einladen und mit ihnen alle Flächen durchgehen, auf denen eventuell gebaut werden kann. Dann wollen wir wissen: Wo sollte zuerst, wo zuletzt Bebauung stattfinden und wo vielleicht gar nicht. Die Ratsfraktionen haben mir zugesagt, im Grundsatz diese Bürgervoten dann auch zu akzeptieren.

Dann haben Sie aber noch nicht die Kritiker im Boot.

Doch, Kritiker wie Befürworter sollen ihre Argumente vortragen. Auch die Ratsfraktionen sollen ihre Vorstellungen darlegen. Am Ende aber entscheiden die Bürger. Wir schlagen nur Flächen vor, die bekannt sind, gehen beispielsweise nicht in Naturschutzgebiete. Es geht darum, den Konsens und die Legitimation von politischen Entscheidungen zu vergrößern. Dass es daran manchmal mangelt, haben ja zum Beispiel die Pläne zur Modernisierung der Messe gezeigt. Auch wenn anzuerkennen ist, dass die Messe Essen vielleicht sogar gestärkt aus diesem Bürgerbegehren hervorgegangen ist. Ein Verdienst der heutigen Messe-Geschäftsführung.

Auch die neuen Chefs der Marketing-Gesellschaft und der Wirtschaftsförderung wollen Essen draußen besser verkaufen. Erwarten Sie schnelle Erfolge?

Mir gefällt, wenn Wirtschaftsförderung und Marketing-GmbH jetzt zusammenarbeiten. Essens Stärken sind das kulturelle Angebot und unsere Wandlungsfähigkeit. Unsere Flaggschiffe sind: das Welterbe Zollverein, der Baldeneysee oder das Museum Folkwang.

Lieben Sie diese Stadt?

Liebe ist ein großes Wort, aber mit einem Aufkleber „I love Essen“ hätte ich kein Problem, aber der Spruch ist ja leider etwas zweideutig (lacht).

Die CDU in NRW hat nicht viele politische Talente in Ihrer Altersklasse. Streben Sie eine zweite Amtszeit als OB an oder könnte Sie auch etwas anderes reizen?

Ich habe mir fest vorgenommen, wieder anzutreten. Um wirklich etwas zu bewegen, ist eine Amtszeit von fünf Jahren zu kurz. Wegen der Flüchtlingskrise komme ich eigentlich erst jetzt zu einigen Themen, die ich mir vorgenommen habe.

Und wenn der Ministerpräsident mit einem Ministerium lockt...

Mein Platz ist in Essen.