Essen. . Sopranistin Jessica Muirhead wird mit dem Aalto-Bühnenpreis ausgezeichnet. Nach der Preisverleihung wird in der kanadischen Heimat geheiratet

Zum Fototermin raus in den Stadtgarten? Aber gerne. Jessica Muirhead würde vermutlich auch auf einen Baum klettern oder ins kalte Wasser springen, wenn ihr gerade danach wäre. Die Aalto-Sopranistin ist so erfrischend unprätentiös, dass man sich kaum vorstellen kann, dass es einmal Künstlerinnen gab, die man Diva nannte und die beim leisesten Windhauch nervös am Seidenschal nestelten. Jessica Muirhead hat nur den kleinen Rucksack dabei und eine große Portion Begeisterungsfähigkeit, wenn sie zum Termin kommt. Seit der Spielzeit 2015/2016 gehört die britisch-kanadische Sängerin zum Ensemble des Aalto-Theaters und ist inzwischen so etwas wie ein Aushängeschild. Keine Frauen-Figur der großen Opernliteratur, die sie nicht mit ihrer Stimme beseelt: Die Donna Anna in „Don Giovanni“, die Violetta in „La Traviata“ oder die Mimi in „La Bohème“. Schon der erste Auftritt als Witwe Katerina in Martinus Oper „Greek Passion“ sorgte für überregionale Aufmerksamkeit. Mit der Verleihung des Aalto-Bühnenpreises für junge Künstler wird ihr Ausnahme-Talent nun gefeiert.

„Die Anna gehört jetzt ganz mir“

Am Abend der Preisverleihung, am 22. Juni, wird sie noch einmal als Anna in Heinrich Marschners romantischer Untertage-Oper „Hans Heiling“ zu erleben sein. Auf diese Anna ist sie besonders stolz. Eine Figur, die im Opern-Repertoire bislang kaum Vorbilder hat. Für sie gab es „ keinen Blue Print“, erklärt Muirhead im fröhlichen deutsch-englischen Plauderton. „Jeder meint zu wissen, wie man die Mimi singt. Aber diese Anna gehört jetzt ganz mir“, strahlt die 37-Jährige, die dem unglücklichen Erdenmädchen in Marschners Erdgeister-Oper seelentiefe Bodenständigkeit verleiht. Dabei liegt das Ruhrgebiet weit weg von ihrer Heimat in Ontario, wo in diesem Sommer die große Familie und ein ganz besonderes Fest auf sie warten. Jessica Muirhead heiratet. Ihr Mann ist ebenfalls Opern-Sänger, da gilt es die Spielzeitpause für große private Pläne zu nutzen.

Vorgeschmack auf Hochzeitsständchen und Schleier hat sie in der vergangenen Spielzeit schon sammeln können. Erst war sie Smetanas „verkaufte Braut“ , dann hat man ihr als Elsa den Brautkranz gebunden. Emotionale Momente waren das, wenn sich das private Herzklopfen plötzlich in den Takt der Musik mischte. Diese Fähigkeit, ein Stück dieser Figuren in sich selbst zu finden, machen ihre Auftritte so besonders. Dazu kommen ungeheure Spiellust, natürlicher Charme und eine Stimme, die dem Zuhörer zart und leicht das Herz öffnet und die gleichzeitig doch voller dramatischer Strahlkraft ist. Das enorme Farbspektrum ihres Soprans, der das leidenschaftliche Flackern jugendlicher Übermuts ebenso erlaubt wie zartgesponnene Melancholie, scheint in der Rollenauswahl kaum Grenzen zu setzen. „Gottseidank habe ich eine gute Technik“ freut sich Muirhead, die in der neuen Spielzeit die Agathe in „Der Freischütz“ singt. Eine Rolle, die sie schon an der Wiener Volksoper verkörpert hat und bald auch in Japan.

Eine Auszeichnung mit langer Tradition

Der Aalto-Bühnenpreis für Junge Künstler wird seit 1990 vom Freundeskreis Theater und Philharmonie Essen verliehen. Zu den bisherigen Preisträgern gehören heute national und international gefragte Künstler wie die Schauspielerin Tatjana Clasing, der Bassist Franz-Josef Selig, der Tenor Torsten Kerl und der Tänzer Raul Raimondo Rebeck. Die Auszeichnung ist mit 5000 Euro dotiert.

Jessica Muirhead erhielt ihre Master of Music von der McGill Univervisity Montreal. Sie hat zahlreiche Musikpreise gewonnen und mit großen Orchestern wie den Hamburger Symphonikern, dem Washington Orchestra und dem Bayerischen Rundfunkorchester gastiert. In Heinrich Marschners Bergbau-Oper „Hans Heiling“ kann man sie noch am 27. Mai und 22. Juni erleben.

In den großen Häusern von der Dresdner Semperoper bis zur Bayerischen Staatsoper hat Muirhead längst ihre Visitenkarte abgegeben. Und doch möchte sie in Essen noch vieles erarbeiten. „Die Leitung weiß, dass ich mich entwickeln möchte. Wir haben einen Plan“, sagt Muirhead. Vor allem Strauss soll öfter auf dem Plan stehen, die Arabella wäre ein Traum. Längst ist Essen nicht mehr der Ort, von dem sie noch nichts gehört hatte, als sie 2015 ans Aalto kam, sondern „mein Zuhause. Ich fühle mich so wohl hier“, schwärmt die Sängerin. Gerade ist sie in eine neue Wohnung gezogen, mit Balkon. Der Stadtgarten ist nicht weit. Und die beruflichen Aussichten sind glänzend.