Der Vater von Hans Frohnert (90) lebt in einer Demenz-WG: Nun explodieren die monatlichen Kosten, dem Essener bleibt nur der Gang zum Sozialamt.

Als sein Vater vor zwei Jahren in eine WG in Altendorf zog, war Hans Frohnert erleichtert: Der heute 90-jährige Senior ist dement und hätte nicht länger allein leben können. In der Demenz-WG kümmert sich ein Pflegedienst um die zehn Bewohner. Bisher deckt die Rente des Vaters Miete und Betreuungskosten beinahe ab, 200 Euro schießt der Sohn zu. Doch im April erhielt er einen Brief des Pflegedienstes, der ihm den Atem nahm: Ab Juni solle er 833 Euro mehr zahlen – im Monat. „Das ist ja sittenwidrig“, sagt Frohnert. Doch da könnte er sich irren.

2647 Euro soll der 90-Jährige im Monat selbst zahlen

Das ABC Pflege-Versorgungszentrum aus Wuppertal beruft sich in dem Brief nämlich auf eine neue Vergütungsvereinbarung mit der Stadt. Diese wurde zwischen den fünf in Essen tätigen Pflegediensten und dem Amt für Soziales und Wohnen getroffen. Denn bei bedürftigen Senioren trägt das Sozialamt die Pflegekosten. Frohnert ist allerdings Selbstzahler und auf die komme mit der Neuregelung „eine enorme Mehrbelastung“ zu, räumt ABC in dem Brief ein.

Zu viel für Frohnerts Vater: 401 Euro Miete zahlt er an den Allbau, der die Wohnung für die WG stellt, 2246 Euro verlangt ABC – macht 2647 Euro. „Das ist Wucher“, findet Gudrun Mertschenk, deren Mutter (89) auch in der WG wohnt. „Meine Eltern haben immer geackert, meine Mutter hat eine gute Rente – aber dafür reicht die nicht. Sie muss ihr Erspartes verbrauchen, rutscht dann in die Sozialhilfe. Das macht mich so hilflos.“

Amt: Das Angebot muss deutlich verbessert werden

Dabei sollte die dritte Stufe der Pflegereform, die 2017 in Kraft trat, die Lage pflegebedürftiger Senioren verbessern (Text unten). Gerade Demenzkranke sollten profitieren. Bloß werden die Leistungen nur zum Teil von der Pflegekasse gedeckt: Den Rest müssen die Senioren tragen – oder das Sozialamt.

Ein Jahr lang verhandelte das Amt für Soziales und Wohnen mit den Pflegediensten über die neue Vergütungsvereinbarung. Darin sei nun die gewünschte „Neuausrichtung der Pflege“ berücksichtigt, erklärt Amtsleiter Hartmut Peltz. So zählten jetzt „Begleitung bei Besorgungen außer Haus oder Unterstützung bei Spiel und Hobby“ als pflegerischer Bedarf. Weil so etwas nicht zum Nulltarif zu haben ist, wurden höhere Kosten festgesetzt. Das Amt wird diese Sätze rückwirkend ab Januar 2017 zahlen. Peltz betont aber, dass die Stadt ein Prüfungsrecht habe und Ende 2018 schauen werde, wie die neue Praxis aussehe. Eins sei klar: „Mit den erhöhten Kosten muss eine signifikante Erweiterung des Betreuungsangebotes einhergehen.“

Mehrkosten werden nun auf die Senioren abgewälzt

Dass das auch geschieht, bezweifelt Hans Frohnert. Als Selbstzahler muss er die neuen Sätze zwar erst ab Juni tragen, aber dass sein Vater dann mit mehr Zuwendung oder besseren Angeboten rechnen dürfe, behauptet nicht mal ABC. Im Brief des Pflegedienstes heißt es vielmehr, wegen des Fachkräftemangels und des steigenden Mindestlohns seien in den vergangenen vier Jahren „die Lohnkosten in erheblichem Maße gestiegen“. Die Erhöhung der Betreuungspauschale sei also überfällig gewesen. Zumal man „fast nur mit Fachkräften“ arbeite, wie Katja Diegmann-Hornig von ABC betont. Auch seien für die zehn WG-Bewohner stets zwei Betreuer anwesend. Kurz: „Wir hatten schon immer eine Top-Versorgung – nur haben wir die bisher auf eigene Kosten geleistet.“

Dass diese Kosten nun regelmäßig auf die Senioren abgewälzt werden, ist auch im Bundestag angekommen. In einer Anfrage der Linken-Fraktion vom April heißt es, vielerorts komme es zu monatlichen Mehrkosten von 500 bis 700 Euro, „ohne dass sich die Pflegeleistungen verbessern“. Wie ABC verweisen auch andere Träger auf gestiegene Lohnkosten. Das Bundesgesundheitsministerium erklärt in der Antwort auf die Anfrage, dass bislang 59 Prozent der ambulanten Pflegedienste keine Tariflöhne gezahlt hätten. Im Wettbewerb um Fachkräfte und durch das neue Gesetz ermutigt, gehen offenbar viele nun dazu über. Das könne „zu einem entsprechend steigenden Eigenanteil der Pflegebedürftigen bzw. Sozialhilfeträger“ führen.

Pflegedienst rät Angehörigen: Geht zum Sozialamt

Man solle sich doch um eine Kostenübernahme durchs Sozialamt kümmern, rät ABC: Betroffene hätten berichtet, dass das Amt in Essen „seit 1.1.2018 keine Kostenbeteiligung von Angehörigen mehr fordert“, schreibt Katja Diegmann-Hornig an Hans Frohnert. Der wird nun schweren Herzens zum Amt gehen: „Das Konto meines Vaters ist in drei, vier Monaten leer.“

Das Sozialamt stellt sich bereits darauf ein, dass mehr pflegebedürftige Senioren finanzielle Hilfe benötigen. Derzeit zahle man für 150 Bewohner von Alten-WGs und für 3050 Heimbewohner, so Amtsleiter Hartmut Peltz. „In Zukunft werden wir noch häufiger einspringen müssen.“ Dass man die Angehörigen nicht mehr zur Kasse bitte, sei aber Unfug. „Sobald wir zahlen sollen, weil das Einkommen der Senioren nicht reicht, prüfen wir, ob die Kinder zahlen können.“

>> PFLEGE-GESETZ: DIE GUTE ABSICHT DES GESETZGEBERS

Die Intention des Anfang 2017 in Kraft getretenen Pflegestärkungsgesetz III war gut: Die Lage der Pflegebedürftigen sollte sich klar verbessern. So sollte der Begriff der Pflegebedürftigkeit weiter gefasst werden. Lange Zeit hatte er sich vor allem auf körperliche Einschränkungen bezogen und war Menschen mit kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen nur unzureichend gerecht geworden. Das betraf besonders Senioren mit Demenzerkrankungen, die oft körperlich kaum eingeschränkt sind, ihren Alltag aber dennoch nicht selbstständig bewältigen können.

Darum habe man die Kriterien für die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung und durch Medicproof neu gefasst und „die Leistungen der Pflegeversicherung auf dieser Grundlage verbessert“, sagt das Bundesgesundheitsministerium.
Aus den drei Pflegestufen wurden ab 2017 fünf Pflegegrade. „Insbesondere Menschen mit Demenz haben nun einen gleichberechtigten Zugang zu Leistungen“, versprach das Ministerium. Und: „Viele Pflegebedürftige erhalten nochmals deutlich höhere Leistungen als heute.“ In der Praxis zeigt sich aber, dass die bessere Versorgung nur zum Teil durch die Pflegeversicherung gedeckt ist. Und so werden die teils erheblichen Mehrausgaben an die alt