Essen. Gesetz, das psychisch Kranken mehr Rechte gewährt, gilt als Grund für die Gefährdung von Betreuern. Städtische GSE engagierte schon Security.

Sozialdezernent Peter Renzel hat anlässlich einer Tagung in Essen eine auffallende Häufung von gewalttätigen Attacken in sozialen Betreuungseinrichtungen beklagt. „Es ist erschreckend, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Thema Gewalt, in seinen unterschiedlichsten Facetten, konfrontiert sind“, schreibt Renzel im Netzwerk Facebook.

Während Übergriffe bei Rettungsdiensten, Feuerwehr und in Notaufnahmen von Krankenhäusern schon Alltag sind und offen thematisiert werden, seien ähnliche Erfahrungen in Betreuungseinrichtungen für psychisch Kranke oder Senioren noch viel zu oft ein Tabu. Renzel will das ändern.

„Der Schutz der Mitarbeiter ist nicht mehr in Gänze gewährleistet“

Einer der schon mehrfach traumatisierten Mitarbeitern zur Seite stand, ist Heribert Piel, Geschäftsführer des städtischen Sozialgesellschaft GSE, die Heime, Wohngruppen und Werkstätten unterhält. Neben unzähligen kleineren Übergriffen gab es in letzter Zeit zwei sehr ernste Zwischenfälle. In einem Fall habe ein tobender Kranker von einem Pfleger 20 Minuten mit äußerster Körperkraft fixiert werden müssen, bevor schließlich die Polizei zu Hilfe kam. „Ich möchte mir nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn es sich um eine zierliche Pflegerin gehandelt hätte“, so Piel.

Die Verantwortung für derlei gewaltsame Zuspitzungen sieht der GSE-Chef in der Anfang 2017 veränderten Gesetzeslage, die es enorm erschwert habe, Patienten auch gegen deren Willen mit Medikamenten zu stabilisieren. Für entsprechende Eingriffe und auch die Einweisung in geschlossene Psychiatrien seien die juristischen Hürden erheblich höher gelegt worden, und wenn es doch zu einer Einweisung kommt, dann erst nach langwierigen Verfahren. „Die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Patienten ist das eine, aber der Schutz der Mitarbeiter ist nicht mehr in Gänze gewährleistet“, so Piel, der die Änderung für einen am grünen Tisch ersonnenen Irrweg hält.

Schwerst aggressive Patienten kehren nach kurzer Akut-Phase wieder in offene Wohngruppen zurück

Die Folgen seien jedenfalls dramatisch: Immer wieder passiere es, dass schwerst aggressive Patienten nach nur kurzer Akut-Beruhigungsphase in der Psychiatrie zurück in offene Wohngruppen und Heime kämen, um dort erneut Angst und Schrecken verbreiten – beim Pflegepersonal, aber auch gegenüber Mitpatienten. „Es gab eine Situation, in der ich mir nicht mehr anders zu helfen wusste als durch das Engagieren eines Wachdienstes“, erzählt Piel.

Auf den Kosten blieb die GSE sitzen, vom Kostenträger musste sich der GSE-Chef anhören, er habe unprofessionell gehandelt. Piel hält dies für die Betrachtung von Theoretikern: „Ich kann meine Leute doch nicht einfach im Stich lassen.“

GSE-Chef hält erneute Gesetzesänderung für dringend notwendig

Lösungen für die verfahrene Situation sind nicht leicht zu finden. Sozialdezernent Renzel regte bei der Tagung an, „Krisenteams zu installieren, die unsere Rettungsdienste bei schwierigen Einsätzen z.B. bei psychisch oder suchterkrankten Personen begleiten“. Wegen des hohen Personalaufwands kann das aber nur punktuell helfen, im Alltag normaler Heimeinrichtungen wohl gar nicht. Piel hält eine erneute Gesetzeskorrektur für zwingend. „Auch wenn das sehr schwer zu erreichen ist, da gebe ich nicht auf.“

Was in jedem Fall verhindert werden soll, formuliert Renzel so: „Dass betroffene Mitarbeiter nach einem Übergriff allein gelassen werden, sich aus Scham zurückziehen und möglicherweise Sorge haben, der Arbeitgeber würde den Übergriff gegen sie als berufliche Inkompetenz oder vermeintliche Schwäche einstufen.“ Es sei höchste Zeit, Mitarbeitern eine Stimme zu geben.