Essen. . Einst „Teil einer Jugendbewegung“, heute schon ein Stück Musikgeschichte: „Tocotronic“ liefern einen furiosen Auftritt in der Weststadthalle ab.

Hamburg, meine Perle! Genau eine Halbzeit nach dem Heimsieg des Bundesliga-„Dinos“ HSV über den FC Schalke feiert eine Band aus der Elbmetropole unweit der Gelsenkirchener Arena einen ebenso überraschenden wie furiosen Triumph. Samstagabend in der Weststadthalle: Über 1000 Menschen sind gekommen, um vier bleichen Typen zu huldigen, die vor fast einem Vierteljahrhundert mal vorgaben „Teil einer Jugendbewegung“ sein zu wollen – Tocotronic.

Erfahrene Konzertbesucher wissen, dass Auftritte der ehemaligen Studentenkapelle eine gefährliche Angelegenheit sein können. Wenn Frontmann Dirk von Lowtzow schlechte Laune hat, dann kann er ziemlich nerven. Nicht so an diesem 7. April. Und es wird nicht nur das Wetter gewesen sein, das Tocotronic eine der besten Shows spielen lässt, die sie in nunmehr 25 Jahren auf der Bühne hingelegt haben.

Schon mit ihrem Opener lassen es die „Tocos“ krachen: „Die Unendlichkeit“, erste Single aus dem gleichnamigen aktuellen Album, ein sechsminütiges Gitarrengewitter. Ein perfekter Auftakt, um in den folgenden gut eineinhalb Stunden gekonnt zu pendeln zwischen frischem Material und großen Gitarrensongs, die diese Band zu einer der wichtigsten der deutschen (Indie-) Musikszene gemacht hat.

Kein Hemd für Dandy Dirk

„Electric Guitar“, „Let There Be Rock“ und „Aber hier leben, nein, danke!“ bringen das anfänglich eher cool-reserviert Publikum schnell auf Temperatur. Und von Lowtzow, diese schmale Dandy, der nur noch Hemden tragen wollte, wenn er mal über 30 ist und doch wieder im einfachen schwarzen T-Shirt auf der Bühne steht? Der einst aus Freiburg zum Studium nach Hamburg gereiste begnadete Songschreiber geht tatsächlich so etwas wie aus sich heraus. „Essen“, sagt er immer wieder fast schon erstaunt zwischen den Stücken. Und es ist keine Aufforderung an die Leute vom Catering, dem Künstler Häppchen zu reichen.

„Letztes Jahr im Sommer“ und gewaltige „Explosionen“ – „Alles gehört dir/Eine Welt aus Papier/Alles explodiert/Kein Wille triumphiert“ – sind um kurz nach halb elf die Rausschmeißer. Die immer wieder geforderten Stücke „Nie wieder Deutschland“ und natürlich „Freiburg“ gibt es heute nicht, doch das ist egal. Noch ein wenig geflasht von der Show geht es raus in die warme Nacht. Weit nach dem Abpfiff im Volkspark sind auch die Schalker, die zwischen schlechtem Fußball und guter Musik unterscheiden können, wieder mit Hamburg versöhnt.