essen. . Neuer Kultur- und Schuldezernent Muchtar Al Ghusain über Aufgaben in einer sozial geteilten Stadt und Projektionen aufgrund seines Namens.
Aus Würzburg hat sich Muchtar Al Ghusain, Dezernent für Schule, Sport und Kultur, mit einem Konzert verabschiedet. Es gab Barockmusik, Beethoven und Songs mit eigener Band. Selbst für langjährige Mitstreiter kam das ähnlich überraschend wie die Entscheidung, sich nicht ein weiteres Mal zur Wahl stellen zu wollen, sondern in Essen die Nachfolge von Kulturdezernent Andreas Bomheuer anzutreten. Auch als OB-Kandidat hatte sich der langjährige Würzburger SPD-Vorsitzende Al Ghusain 2014 aufstellen lassen – erfolglos. Was den 54-Jährigen an der neuen Aufgabe reizt, darüber sprach er mit Martina Schürmann und Martin Spletter.
Herr Al Ghusain, Ihre neue Wohnung befindet sich im Geku-Haus, mitten in der Nord-City. Ist das ein Signal? Ein Kulturdezernent, der nicht aus dem bürgerlichen Süden heraus das kulturelle Leben der Stadt dirigiert?
Zur Person: Muchtar Al-Ghusain
Muchtar Al-Ghusain wurde im Dezember zum neuen Dezernenten für Jugend, Bildung und Kultur gewählt. Seine Amtszeit beträgt acht Jahre. 1963 wurde er in Kuwait als Sohn eines Jordaniers und einer Deutschen geboren. 1970 kam Al-Ghusain nach Deutschland, wuchs in Würzburg auf, studierte dort Musik, Hauptfach Klavier. In Hamburg später Kulturmanagement.
Al-Ghusain übernahm 1994 das Amt des Musikschulleiters in Schwäbisch Gmünd, später wurde er Referatsleiter am niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Im Jahr 2006 kehrte er nach Würzburg zurück, um dort Kultur-, Sport- und Schuldezernent zu werden.
Al-Ghusain ist verheiratet und hat zwei Töchter.
Ich will den privaten Wohnsitz eines Dezernenten nicht überbewerten. Aber für mich ist das die Gelegenheit, die Stadt gleich sehr konkret kennenzulernen und mich zu vernetzen. Und zwar in einem Bereich, in dem ich mich auch engagieren will. Essen ist eine Stadt mit großer Dynamik und spannenden Umbruchprozessen, die sich auch immer wieder ein stückweit neu erfinden muss. Ich will nah dran sein an den Themen, die in der Stadt verhandelt werden und die die Menschen bewegen.
Im Grillo-Theater zeigen sie gerade ein Stück über die A 40 als Trennlinie zwischen arm und reich. Daran etwas zu ändern, dürfte für Sie ein Anliegen sein, oder?
Ich würde meine Aufgabe missverstehen, wenn das kein Ziel wäre. Aber man muss natürlich auch fragen: Ist das nur die Autobahn, die trennt? Gibt es historische Voraussetzungen, die dazu geführt haben? Wo ist der Hebel, das zu verändern? Es kann niemanden ruhig lassen, wenn die Segregation so stark ist und die Menschen in geschlossenen Quartieren leben. Das aufzuweichen, ist Aufgabe von uns allen.
Wie kann man Zuwanderer in das kulturelle Leben einbinden? Hat man als Dezernent mit migrantischen Wurzeln da bessere Einfälle?
Ich persönlich habe meinen Migrationshintergrund ja nie als etwas Besonderes gesehen. Zumal ich ein ausgesprochen deutsch sozialisierter Migrant mit deutscher Mutter bin. Von der Ausbildung her komme ich aus der klassischen Musik und bin als Protestant kirchlich engagiert. Insofern erfülle ich so gar nicht die Klischees eines klassischen Migranten. Aber ich kann nicht verhindern, dass man durch das Lesen meines Namens bestimmte Erwartungen aufbaut. Und ich fühle mich grundsätzlich Eingewanderten mit hoher Wertschätzung verbunden. Mein Lieblings-Cousin in Jordanien ist ein praktizierender Moslem – in meiner Familie die große Ausnahme, weil alle sehr westlich orientiert sind. Religiosität kann auch einen Ausdruck von Offenheit und Wertschätzung transportieren.
Trotz Kulturhauptstadt- und Grüne Hauptstadt-Titel kämpft Essen mit Image-Problemen. Wie kann man das Selbstwertgefühl verbessern?
Dieser Hang zur Selbstkritik, das Haar in der Suppe zu suchen, ist meiner Meinung nach gar kein Essener, sondern ein deutsches Phänomen. Als ich vor Jahren nach Schwäbisch-Gmünd kam, hieß es: Schwäbisch-Sibirien. In Würzburg wird man schnell auf fränkische Sturheit reduziert. Ich mag diese Attribute nicht. Aus kultureller Sicht ist Essen eine Stadt mit einem fulminanten Angebot. Und was die Zivilgesellschaft angeht, das Miteinander, da kann sich Essen absolut sehen lassen. Das Aufnehmen von Menschen verschiedener Nationen ist hier doch über viele Jahre gut gelungen. Darauf kann man stolz sein wie auf die lange Geschichte. Für mich ist es Ehre und Freude, hier arbeiten zu dürfen.
Ein Kunstmuseum von Rang, eine breite Theaterlandschaft, das Welterbe Zollverein – aber leider ein sehr übersichtlicher Kulturhaushalt. Wo wollen Sie Akzente setzen?
Nur den Status quo zu erhalten, das wäre zu wenig. Natürlich habe ich den Anspruch, aktiv mitzugestalten. Aber es ist noch zu früh, um dezidierte Themen zu benennen. Ich trete nicht mit dem Anspruch an, gleich alles auf den Kopf zu stellen. Das sorgt nur für Irritationen. Zunächst geht es vor allem darum, zuzuhören, aufzunehmen, wie diese Stadt tickt. Ich bin dazu da, bestimmte Entwicklungen zu verstärken. Was aber nicht heißt, dass ich Prozesse nicht auch klar analysieren und Veränderungen auf den Weg bringen möchte.
Welches sind ihre privaten kulturellen Leidenschaften?
Musik nimmt schon viel Raum ein, aber es gibt auch viele andere Interessen, der Tanz und der Theaterbereich gehören dazu. Und ich habe eine große Liebe entwickelt zur konkreten, konstruktiven Kunst. Aber mein persönlicher Geschmack und meine Sozialisation sind nicht maßgeblich für das, was ich als Kulturdezernent bewegen möchte und muss. Ich will die Gesamtschau auf das kulturelle Leben einer Stadt lenken. Ich habe es beispielsweise nie geschafft, zum großen Cineasten zu werden. Gleichwohl habe ich in Würzburg an der Gründung eines genossenschaftlichen Kinos mitgewirkt, als es kein Programmkino mehr gab. Weil mir klar war, dass eine lebendige Kinolandschaft für eine Stadt wichtig ist.
Braucht eine Stadt dieser Größe nicht einen Dezernenten, der sich nur auf Kultur konzentrieren kann?
In Würzburg hatte ich elfeinhalb Jahre lang die Zuständigkeit für Kultur, Bildung und Sport und habe den verschiedenen Bereichen so viel Aufmerksamkeit gewidmet, wie es eben nötig war. Der Schulbereich hat dabei sicher 50 Prozent meiner Arbeitszeit ausgefüllt, da kann ich noch so ein leidenschaftlicher Kulturmensch sein. Aber ich bin das nur geworden, weil ich einmal zur Schule gegangen bin. Insofern ist Bildung die zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe. Dass das in Essen zusammengeführt worden ist, empfinde ich als nahezu ideal. In der schieren Größe ist es eine Herausforderung. Aber in der Schnittmenge hat es große Chancen.
Thema Schule: Haben Sie schon eine Essener Schule von innen gehen?
Es wird sicher dauern, bis ich alle etwa 150 Schulen besucht habe. Doch die Problemlagen, zum Beispiel, was die Sanierungen angeht, sind mir durchaus bewusst. Auch im vermeintlich reichen Würzburg gab es einen erheblichen Sanierungsstau, der über Jahre entstanden ist. Die Defizite sind bundesweit ähnlich.
Woran denken Sie spontan als erstes, wenn Sie sich an ihre eigene Schulzeit erinnern?
Dass ich fast immer Klassensprecher war. Ich habe mir nicht den Mund verbieten lassen. Man muss auch in einer Schulgemeinschaft seine Interessen artikulieren. Anscheinend ist mir das als junger Mensch schon gelungen, sonst wäre ich nicht gewählt worden.
Haben Sie eine Meinung zur Inklusion?
Einerseits kann eine Gesellschaft sich nicht vom Anspruch verabschieden, Teilhabe für möglichst viele Menschen mit Behinderung möglich zu machen. Andererseits bieten Förderschulen einen Schutzraum, der so woanders nicht gegeben ist. So wichtig Inklusion ist, wir brauchen in diesem Prozess ein Handeln mit Augenmaß und können nicht überstürzt das über Bord werfen, was an funktionierenden Strukturen besteht. Ich habe Zivildienst an einer Schule für geistig Behinderte gemacht und dort den Umgang mit behinderten Menschen sehr zu schätzen gelernt.
Es gibt in Essen viele städtische Grundschulen, die konfessionell orientiert sind. Finden Sie das gut?
Ich bin gerade dabei, zu verstehen, dass wir hier zahlreiche Grundschulen in städtischer Trägerschaft haben, die trotzdem evangelisch oder katholisch sind. Mir wurde bereits vermittelt, dass in den Konfessionsschulen offenbar weniger Migrantenkinder unterrichtet werden als in Gemeinschaftsschulen. Das will ich mir genauer anschauen, denn wenn das so wäre, würde ich sagen, dass wir hier ein Problem haben, an dem man arbeiten muss.
In Bayern gibt es keine Gesamtschulen. Haben Sie sich schon mit dem NRW-System, dem Nebeneinander des gegliederten Systems und der Gesamtschule anfreunden können?
Ich habe grundsätzlich durchaus meine Zweifel, ob das gegliederte Schulsystem der richtige Weg ist. Das liegt vor allem an den Weichenstellungen nach vier Grundschuljahren. Das ist deutlich zu früh, um zu entscheiden, wohin eine Reise gehen soll. Aber bildungspolitische Grundsatzdebatten brauchen wir auf kommunaler Ebene nicht zu führen.
Worauf wird es für Sie als Schul-Dezernent ankommen?
Mir persönlich geht es darum, bei Fragen von Sanierungen oder Erweiterungen die gesamte Schulfamilie mitzunehmen – Pädagogen, Eltern und Schüler. Nur dann kann etwas Qualitätsvolles entstehen, auch wenn das nicht immer der vermeintlich effizienteste oder schnellste Weg ist. Die Schulentwicklungsplanung haben wir in Würzburg sehr partizipativ angelegt – mit Bürgerwerkstätten und Lenkungsgruppen. Das waren aufwändige Abstimmungsprozesse. Doch herausgekommen ist ein Schulentwicklungskonzept mit 77 konkreten Handlungsempfehlungen.
Planen Sie hier etwas Ähnliches?
Das weiß ich noch nicht. Ich muss mir erst mal alles anschauen, die Strukturen verstehen und gegebenenfalls Prozesse zu optimieren versuchen, statt mit der Tür ins Haus zu fallen. Das wäre nicht mein Stil.