Essen. Im Jahr 1932 erbaut, als architektonisches Meisterwerk gefeiert, setzten die Nazis das Jüdische Jugendheim an der Ruhrallee 1938 in Brand.
Bei seiner Einweihung 1932 wurde es als spektakuläre Baukunst gefeiert, sechs Jahre später setzten es die Nazis in Brand und beseitigten bis 1939 noch die letzten Überreste des „undeutschen“ Gebäudes. An die kurze, bittersüße Geschichte des Jüdischen Jugendheims in Essen wird in einer Architektur-Ausstellung (siehe Text unten) erinnert, die im September in der Alten Synagoge zu sehen ist.
Dieser Tage hat Uri Kaufmann, der das Haus leitet, schon das Modell des Jugendheims in Empfang genommen, das in einer Braunschweiger Kunstschreinerei gefertigt wurde: Es zeigt den markanten halbrunden Vorbau, an den sich ein viergeschossiger Mittelteil anschloss, an den wiederum eine langgestreckte Mehrzweckhalle, Terrasse und Garten angegliedert waren. „Mit seinen Fensterbändern war das ein sehr modernes Gebäude“, sagt Kaufmann.
Genau so hatte es sich der Rabbiner Hugo Hahn (1893-1967) gewünscht: „Es war uns vollkommen klar, dass das zu errichtende Gebäude nicht wie die Synagoge im Wilhelminischen Stil gehalten sein durfte, sondern Ausdruck der modernen Zeit sein sollte.“ Die jüdische Gemeinde in Essen war in den 1920er Jahren auf gut 4500 Mitglieder angewachsen, hatte Selbstbewusstsein und Bürgerstolz entwickelt. So beauftragte man den berühmten Architekten Erich Mendelsohn aus Berlin mit dem Bau eines Hauses der jüdischen Jugend.
„Die jüdische Jugend in Essen – unseren im Weltkrieg gefallenen Brüdern“
Ein „Statement“ sei diese Wahl gewesen, schreibt Harald Lordick in seinem Beitrag „Das schönste Jugendheim Deutschlands“ (2016). Mendelsohn plante den eingangs beschriebenen Bau auf dem dreieckigen Grundstück an der Ruhrallee im Südostviertel mit „Turnhalle, Theatersaal, koscherer Cafeteria, Küche, Speisesaal...“, wie Uri Kaufmann aufzählt. „...und Kegelbahn, Umkleide- und Waschräumen, später Tischlerei und Schlosserei, Waschküche, Bügel- und Abstellraum“, wie bei Lordick nachzulesen ist. Als Zugeständnis an den Reichsbund jüdischer Frontsoldaten plante man den Eingangsbereich als Ehrenhalle mit der Inschrift: „Die jüdische Jugend in Essen – unseren im Weltkrieg gefallenen Brüdern.“
Für Hahn ging es weniger um das Andenken an die Toten als um „ein reges Jugendleben“, das sich auch bald nach der Eröffnung 1932 entwickelte – und ein dreiviertel Jahr später jäh zum Erliegen kam, als die Hitlerjugend das Haus besetzte. Die Polizei schritt nicht ein, andere NS-Behörden verschleppten die Sache. Am Ende sah die jüdische Gemeinde als Hebel nur die aus dem Grundstückskauf fälligen monatlichen Raten an die Stadt – auf die sie sich nun verklagen ließ. So gelang es nach 15 Monaten, das Haus zurückzuerobern, sämtliches Mobiliar war jedoch geplündert.
Noch einmal sollte Leben ins Jugendheim zurückkehren: 1937 etwa wurden monatlich 10 000 Besucher gezählt, die hier Vorträge hörten, Hebräisch lernten, Theater oder Boxkämpfe sahen. „Man sollte sich fürs Judentum nicht nur aus der Perspektive der Verfolgung interessieren. Mir ist wichtig, auch jüdische Kultur zu vermitteln“, sagt Uri Kaufmann. Das Jugendheim steht für diese reiche Kultur, Zeitzeugen schwärmen von einem „architektonischen Meisterwerk“, „vielen Kulturereignissen“, kurz: einer „grandiosen Sache“. Ein Tagebuch hält 1936 fest: „Abends im Jugendheim, wie ein Palast...“
Einziger Rückzugsort in einer zunehmend feindlichen Welt
Zur historischen Wahrheit gehört indes, dass das von Rabbiner Hahn als „Ort freier Entfaltung im Sinne reformpädagogischer Ideale“ geplante Haus mit der Entrechtung der Juden „zum beinahe einzigen Rückzugsort in einer immer feindlicheren Welt“ wurde, wie Harald Lordick schreibt. Die Verfolgung – hier lässt sie sich nicht ausblenden. Als im November 1938 in ganz Deutschland die Synagogen brannten, steckten die Nazis auch das Jugendheim an: „Wir fanden nur noch Asche und Trümmer“, notiert ein aufgewühlter Hugo Hahn.
20 Jahre später entstand auf dem Grundstück die neue Synagoge. Das nun gebaute Modell des Jugendheims soll nach dem Willen von Uri Kaufmann in der Dauerausstellung der Alten Synagoge bleiben: Es hat viel zu erzählen.