Experten sind sich einig: Ein kostenloser Nahverkehr wäre in Essen derzeit gar nicht zu bewältigen. Das Netzt stößt bereits an seine Grenzen.

Kostenloser Nahverkehr? Der Vorschlag ist vom Tisch. Bei Nutzern von Bus und Bahn dürfte die Bundesregierung Hoffungen geweckt haben, als sie Essen zur Modellkommune auserkor. Verkehrsexperten hingegen äußerten sich von Beginn an skeptisch. „Ausgerechnet Essen“, kommentierte Christof von Nell von der Verkehrsberatung Spiekermann. Die Idee sei nicht ausgegoren. Für den Fahrgastverband Pro Bahn bietet Essen nach den Worten von Sprecher Lothar Ebbers gar die schlechtesten Voraussetzungen für einen kostenlosen Nahverkehr. Beide dürfen sich nun bestätigt fühlen.

„Das Ende der Fahnenstange ist erreicht“

Ebbers und von Nell teilen die Einschätzung, dass die Ruhrbahn in den Spitzenzeiten, also am frühen Morgen und Nachmittag mit Einsetzen des Berufsverkehrs, kaum noch in der Lage ist, zusätzliche Fahrgäste aufzunehmen. Das „Ende der Fahnenstange“ sei erreicht, sowohl bei Fahrzeugen und Fahrern als auch angesichts der vorhandenen Infrastruktur, so Ebbers. „Kurzfristig ist da kaum etwas zu machen.“

Die Stadt räumt das offen ein. Im Nahverkehrsplan ist es nachzulesen. Dort heißt es: Einem „wesentlichen Fahrgastzuwachs“ sei im bestehenden System eine klare Grenze gesetzt. Eine Erhöhung der Kapazität sei nur durch eine Taktverdichtung möglich. Eine solche sei jedoch im Tunnelsystem des Straßenbahnnetzes „betrieblich nicht mehr abwickelbar“. Entlastung verspricht erst die für das Jahr 2025 geplante oberirdische Trasse entlang von Holle- und Hachestraße. Diese „Bahnhofstangente“ mache es möglich, eine Linie aus dem Tunnel herauszunehmen und auf der Linie 107 zwischen Hauptbahnhof und Gelsenkirchen im Fünf-Minuten-Takt zu fahren.

Mehr Busse einzusetzen wäre theoretisch möglich

Defizite sieht Pro Bahn auch bei Fahrzeugen und Haltestellen. Die neuen oberirdischen Bahnsteige seien zu kurz, die Niederflurbahnen verfügten über zu wenige Stehplätze. „Luft nach oben“ im System sieht Ebbers allenfalls auf der Stadtbahnlinie U 18. Auch mehr Busse einzusetzen, wäre theoretisch möglich, meint Christof von Nell.

Fragwürdig sei ein kostenloser Nahverkehr aus finanziellen Gründen. „Flächendeckend ist das unbezahlbar“, so der Verkehrsexperte. Nachdenkenswert wären neue Finanzierungsmodelle, beispielsweise angelehnt an das Semesterticket: Alle Studenten zahlen dafür, ob sie den öffentlichen Nahverkehr nutzen über nicht. Die Zahl derjenigen, die es tun, sei mit Einführung des Tickets aber deutlich gestiegen.