Bisweilen tun sich selbst die Profis von Jobcenter & Co. schwer mit der Qualifizierung und dem Jobeinstieg der Flüchtlinge.

Die Flüchtlinge sind eine heterogene Gruppe: Da gibt es Fachkräfte genauso wie Menschen, die nie zur Schule gegangen sind. Aber man kann auch mit 40 noch eine Sprache lernen und eine Ausbildung machen, um Fuß zu fassen, Arbeit zu finden. Bei einigen meiner Landsleute habe ich erlebt, dass sie das als Zumutung empfanden: Sie hätten ja in ihrer Heimat einen Beruf erlernt. Ihnen muss man erklären, dass es unterschiedliche Standards und Anforderungen gibt.

Wie kann es aber sein, dass ein irakischer Ingenieur mangels Jobperspektive eine Dönerbude aufmacht?

Eigentlich sollte man gucken, wo man andocken kann: Was können die Leute, was kann man anerkennen, damit sie nicht von vorn anfangen müssen. Ich habe meine Diplomarbeit über jüdische Kontingent-Flüchtlinge geschrieben, die oft hochqualifiziert waren. Mit etwas Nachsteuern hätten wir fertige Ingenieure gehabt, stattdessen haben wir Putzkräfte aus ihnen gemacht. Das sollte uns eine Mahnung sein. Trotzdem werden wir nicht jedem sofort eine passgenaue Maßnahme anbieten können. Zumal manches nicht auf kommunaler Ebene zu klären ist, sondern Land und Bund am Zug sind.

Und was können Sie vor Ort tun?

Ich bin zu kurz hier, um fertige Lösungen zu präsentieren. Aber bisher gibt es in Essen zwei Strategiekonzepte: Zuerst gab es die Interkulturelle Orientierung, dann – als Reaktion auf die starke Zuwanderung seit 2015 – kam die Integration von Flüchtlingen. Jetzt wollen wir beides bündeln, Maßnahmen und Akteure vernetzen, Ressourcen besser nutzen. Es ist eine Querschnittsaufgabe, die beim Oberbürgermeister angesiedelt ist. Konkret müssen wir in allen Lebensbereichen langsam zur Normalität zurückkehren, das Zusammenleben organisieren. Dazu gehört, dass sich beide Seiten bemühen: Dass niemand Flüchtlinge pauschal aburteilt, weil es eine einzelne Verfehlung gegeben hat. Und dass umgekehrt die Zuwanderer die deutschen Werte respektieren.

Mancher tut sich schon schwer, die Gleichberechtigung hierzulande anzuerkennen. Wie stellen Sie sicher, dass Frauen Bildungsangebote wahrnehmen?

Praktisch braucht man dazu Kinderbetreuung – und zweitens Aufklärung: Die Leute wachsen in einem ganz anderen System auf, sind zwei Wochen auf der Flucht und landen in einer komplett neuen Welt: Die werden in die Zukunft geschleudert. Wie Zeitreisende im Film sind sie total verwirrt. Wir müssen ihnen Zeit lassen, sich hier zurechtzufinden. Gleichzeitig gilt es natürlich, Gleichberechtigung und Grundgesetz zu verteidigen.

Sie sagen Integration braucht Zeit – wie lange? Eine Generation?

Tja, dann hätte ich es ja noch nicht geschafft [lacht]. Im Ernst: Jeder hat sein individuelles Tempo, jeder muss sich bemühen. Dabei helfen auch positive Beispiele als Motivation: Man kann es schaffen.

Wer hat Sie motiviert?

Das war mein Prof! Auch ich hatte ja Begegnungen mit Menschen, die Vorbehalte hatten, dachten, weil ich kein Deutsch konnte, müsse ich dumm sein. Mein Professor, hat mir gezeigt, dass da jemand ist, der an mich glaubt. Er stellte mich als studentische Hilfskraft ein und gab mir die Möglichkeit, zu beweisen, was ich kann – und dass Putzstellen unter meinem Niveau waren. Das war für mich ein Türöffner. Dadurch legte ich auch meine Vorbehalte gegen „die Deutschen“ ab.

Heute sind Sie selbst Deutsche?

Ich habe die doppelte Staatsbürgerschaft. Einmal im Jahr bin ich in Bulgarien und merke, dass ich ein wenig fremd geworden bin... Aber in mir schlagen definitiv zwei Herzen, ich habe zwei Heimatländer . . .

. . . und bald eine neue Heimatstadt?

Ich bin Fan des Ruhrgebiets, glücklich, dass ich in Essen arbeiten darf, und freue mich auf das Kulturangebot. Aber der Liebe wegen bleibe ich in Dorsten: Da lebe ich mit meinem Mann in seinem Elternhaus.