Essen. Die Organisatoren des Grünen Hauptstadtjahres über persönliche Höhepunkte, den bleibenden Nutzen der Projekte für Essen und die weiteren Pläne.
Das Jahr der Grünen Hauptstadt geht für Essen zu Ende. Herr Kindel, Hand aufs Herz, sind Sie froh, dass es vorbei ist?
Ralph Kindel: Ich habe im Moment noch nicht das Gefühl, dass es zu Ende ist. Auch weil wir bis zuletzt voll im Saft standen und jeden Tag zehn bis zwölf Stunden gearbeitet habe. Aber, dass man am Ende froh ist, liegt in der Natur der Sache.
Frau Raskob, mit dem Jahr der Grünen Hauptstadt wollten Sie Emotionen wecken. Was war für Sie persönlich das Highlight 2017.
Simone Raskob: Das Baden im Baldeneysee. 2010 habe ich mit Wolfgang Reiniger, der damals Oberbürgermeister war, am Ufer gestanden. Er sagte: Frau Raskob, wenn wir das mal hinkriegen, wieder hier am Baldeneysee baden zu können, dann wäre das ein Traum für Generationen von Essenern. Gerade für die Älteren, die selbst noch im See gebadet haben. Deshalb war es ein besonders schöner, ein besonders emotionaler Moment.
Ein emotionaler Moment war für viele Bürger sicher auch die spektakuläre Eröffnungsfeier im Grugapark. Warum klingt das Jahr nun so still und leise aus?
Raskob: Offen gestanden, wussten wir noch nicht einmal, ob wir am Ende noch die Kraft und die Zeit hätten, uns bei den Projektpartnern und bei den Bürgern, die das Programm überhaupt erst möglich gemacht haben, zu bedanken. Uns war klar, dass wir das Jahr nicht mit einem Feuerwerk beenden, mit einer weiteren großen Veranstaltung. Finanziell hätten wir das mit unserem Budget auch gar nicht mehr stemmen können. So ehrlich muss man sein.
Sie haben die rund 17 Millionen Euro bis auf den letzten Cent ausgegeben?
Raskob: Nein, noch nicht. Einiges haben wir ins neue Jahr geschoben. Die Fahrradhäuser des ADFC werden zum Beispiel erst im Frühjahr aufgestellt. Das Projekt für nachhaltige Bildung im Grugapark läuft noch bis April. Wir haben auch noch ein paar Ideen, aber die wollen wir noch nicht verraten.
Von Grau zu Grün – diese Geschichte wollten Sie erzählen. Ging es der Grünen Hauptstadt vor allem ums Marketing?
Raskob: Nicht nur. Die Grüne Hauptstadt war nach der Kulturhauptstadt 2010 eine weitere Chance, ein neues Image dieser Stadt nach außen zu tragen. Kaum einer hat doch geglaubt, dass Essen Grüne Hauptstadt Europas werden könnte...
...wohl nicht einmal die Essener.
Raskob: Vom Bauchgefühl her wissen die meisten sicher, dass sich ihre Stadt, dass sich ihr Quartier zum Positiven verändert hat. Dass Essen aber ein europäisches Vorbild sein kann, war sicher überraschend. Ich denke, das hat die Leute Stolz gemacht. Die Grüne Hauptstadt hat nach innen Identifikation gestiftet und in der Außenwirkung für einen großen Aha-Effekt gesorgt. Und ich denke, dass wir eine glaubwürdige Grüne Hauptstadt waren. Und dass wir den Titel verdient hatten nach über 100 Jahren Grünplanung und Freiraumgeschichte. Heute sind wir eine Stadt, die wie andere um die klügsten Köpfe kämpft. Unsere großen Unternehmen suchen innovative Leute. Wir haben es geschafft, mit wunderbaren Bildern ein bisschen in die Welt zu rufen: Wir sind attraktiv. Das war wichtig für Essen und für die ganze Region.
Ex-Kulturdezernent Oliver Scheytt, als Organisator der Kulturhauptstadt 2010 quasi ihr Vorgänger, hat beklagt, es fehle in der Region an der nötigen Kraft, um den Weg weiterzugehen.
Raskob: Natürlich wünscht man sich manchmal noch mehr regionale Kraft. Kraft in der Region kann man nur mobilisieren, wenn man gemeinsame Leitbilder und Visionen hat. Mit der grünen Dekade haben wir ein starkes Leitbild. Die Finanzierung der Internationalen Gartenausstellung 2027 ist noch nicht gesichert. Auch die Klima-Expo 2022 ist noch nicht finanziert. In der Landesregierung stehen also wichtige Schlüsselentscheidungen an. Deshalb wird es spannend sein, ob unsere regionale Kraft auch trägt, damit strukturelle Entscheidungen gefällt werden. Dafür brauchen wir eine starke Gemeinschaft. Wir kämpfen auf jeden Fall mit.
Herr Kindel, zurück zum Programm: Würden Sie im Rückblick etwas anders machen?
Kindel: Wenn ich bedenke, dass wir nur sehr wenig Zeit zur Vorbereitung hatten, bin ich sehr zufrieden. Und das Wetter konnten wir nun mal nicht beeinflussen. Wenn es, wie am „Tag der Bewegung“, von acht Stunden sechs Stunden lang regnet, kommen die Leute nun mal nicht. Für die 600 Fahrradfahrer war es dennoch eines der schönsten Erlebnisse des Jahres. Es mag sein, dass wir nicht alle Bürger erreicht haben. Es gab eben unterschiedliche Erwartungen. Ich denke, den Großteil haben wir erfüllt.
Es gab mehr 460 Veranstaltungen, Haben Sie sich nicht in der Vielfalt verzettelt?
Kindel: Das war vielleicht der Unterschied zur Kulturhauptstadt. Dort wurde konsumiert, bei uns musste man mitmachen. Wir haben auch Projekte für 40, 50 oder 100 Leute gemacht. Alle, die sich auf die Grüne Hauptstadt eingelassen haben, waren mit vielen Dingen sehr zufrieden. Ich glaube nicht, dass weniger mehr gewesen wäre.
Den Herren vom Runden Umwelttisch waren es zu viele Events, zu wenig Inhalte.
Raskob: Es war von Anfang an klar, wir werden in diesem Jahr nicht für viele Millionen Euro etwas bauen. Wir waren eben keine Bauausstellung. Wir wollten Dinge anstoßen und einen Bewusstseinswandel schaffen. Ich bin der Meinung, das ist uns gelungen, auch in der Politik. In der letzten Sitzung des Bauauschusses haben SPD und CDU gemeinsam den Antrag gestellt: Jetzt macht an Ampeln doch mal grüne Pfeile für Radfahrer. Die FDP und das Essener Bürgerbündnis haben zugestimmt. Das Thema Mobilität wird in dieser Stadt inzwischen ganz anders diskutiert. Ich glaube, dass wir die Grüne Hauptstadt in einem Jahr noch ganz anders bewerten werden. Wir haben viel bewegt in den Herzen, in den Köpfen und auch im politischen Handeln.
Sie sagen, die Grüne Hauptstadt hat viel angestoßen. Viele werden sich fragen, was bleibt von 2017?
Raskob: Die MS Innogy, unser mit Methanol betriebenes Fahrgastschiff, wird weiterhin auf Ruhr und Baldeneysee fahren, die Mobilitätsstationen bleiben, das Baden in der Ruhr, der Baldeneysteig – ich könnte Ihnen eine lange Liste mit Projekten nennen, die nachhaltig sind. Das Elektro-Rikscha-Projekt für Senioren bleibt, 300 Einbahnstraßen bleiben für Radfahrer auch in Gegenrichtung geöffnet. Die emissionsfreie Paketanlieferung der DHL in der Innenstadt – die hätte es ohne die Grüne Hauptstadt nicht gegeben. Es bleibt sehr viel. Vielleicht müssen wir das noch besser kommunizieren.
Wie steht’s mit den vielen schönen Blumen an den Straßen? Darüber haben sich viele Bürger gefreut.
Raskob: Die Blumen kommen von selbst wieder. Die Stauden werden auch 2018 durch eine Firma gepflegt, aber mit weniger Aufwand, weil sie stabiler sind. Wir haben in der Grünpflege jahrelang gespart. Jetzt kommen wir aus dem Tal hinaus und bekommen mehr Geld für die Grünunterhaltung.
Das Projektteam stellt bald die Arbeit ein. Wie geht es im Rathaus mit grünen Themen weiter?
Raskob: Das Jahr der Grünen Hauptstadt ist zu Ende. Aber Oberbürgermeister Thomas Kufen hat zurecht gesagt: Den Titel haben wir immer. Und unsere Ziele haben wir noch gar nicht erreicht. Ein kleines Team in der Verwaltung wird Ressort übergreifend dran bleiben an den Themen. Denn wir wollen wissen, wie geht es weiter in Sachen Lärmminderung, Luftqualität, Mobilität: Unsere Ziele wollen und werden wir weiterverfolgen.
Marcus Schymiczek