Essen-Altenessen. . Jürgen Schmidt (75) steht seit 47 Jahren hinterm Tresen. Von der Zeche Emil Emscher wechselte er in die Gastronomie. Es begann im „Pferdestall“.

Mit seinen bislang 47 „Dienstjahren“ hinter dem Tresen ist der Altenessener Jürgen Schmidt mindestens im Essener Norden und wahrscheinlich auch im Rest der Stadt der am längsten aktive Wirt. Jeden Tag öffnet er immer noch um 9 Uhr die Türen seiner Kneipe „Filou“ an der Altenessener Straße. Jüngst ist er 75 Jahre alt geworden.

„Ja, die Szene hat sich ganz schön verändert“, erzählt Jürgen Schmidt und nippt an seinem Glas Tee. „Früher gab es an der Altenessener Straße zwischen dem Viehofer Platz und der Karnaper Brücke über 30 Kneipen. Heute sind noch zwei übrig“, sinniert er.

Schwere Jungs mit leichten Mädchen

Früher, damit meint Jürgen Schmidt in diesem Fall den Anfang der 1970er Jahre. Auf der Zeche Emil Emscher gab es für ihn keine Arbeit mehr und so musste sich der Elektriker nach etwas Neuem umsehen. Da sprach ihn ein Bekannter an, für den „Pferdestall“ an der Kleinen Steubenstraße im Südostviertel suchte man einen Wirt. Doch das war mehr als nur ein „Sprung ins kalte Wasser“.

Der Laden war keine brave Pinte für das Feierabendbier, sondern ein Frühlokal, das erst abends öffnete und in dem sich bis in die Morgenstunden alle „Gestalten“ einfanden, die in der Innenstadt und sonst wo nichts mehr zu trinken bekommen hatten. Dorthin kamen die berühmten schweren Jungs mit ihren leichten Mädchen ebenso gern zum Trinken, wie Vertreter aus Justiz und Polizei. Und natürlich auch „ganz normale Leute“, wie Jürgen Schmidt sagt: „Das war schon wild damals, da ging jede Nacht die Post ab.“

Als Ringer wurde er mit der Mannschaft Deutscher Meister

Fragt man ihn heute nach der Zeit, an die er sich in seinem Berufsleben am liebsten erinnert, dann nennt er diese erste Kneipen-Phase bis 1983. Ärger hatte er hier trotz der diversen Schwergewichte vor dem Tresen nie. Das lag auch an seinem Schulfreund Hans Biesel, der unter dem Spitznamen „Calypso“ eine weithin bekannte Größe im Milieu war und noch deutlich schwergewichtiger als die Gäste von Jürgen Schmidt. „Der Hans sagte damals: Der ,Schmittie’ macht ne Kneipe auf, da gibt’s keine Randale. Und dann gab’s auch keine“, erzählt Jürgen Schmidt und muss grinsen.

Doch auch er selbst war alles andere als ein Leichtgewicht. Genau genommen ein Halbschwergewicht, denn dies war die Klasse, in der er als Ringer von der Landes- in die Ober- und schließlich bis in die Bundesliga aufstieg.

Drei Mal war er mit der Mannschaft Deutscher Meister und hinter dem Tresen so eine stattliche Erscheinung, dass mit Sicherheit auch von selbst niemand auf die Idee gekommen wäre, sich mit „Schmittie“ anzulegen. „Diesen Sport habe ich lange betrieben, bis ich 45 war und unglücklich auf die Schulter gefallen bin. Das Training hat neben dem Beruf immer super geklappt“, berichtet er.

Denn nach dem „Pferdestall“ ging es natürlich weiter. Das „Kinkerlitzchen“ an der Ecke Vogelheimer-/Altenessener Straße war die zweite Station und markierte die Rückkehr in den Heimatstadtteil. „Ich hatte keine Lust mehr, bis sieben in der Früh’ hinter der Theke zu stehen“, erläutert er.

„Meine Läden waren immer sauber“

1986 zog er an der Altenessener Straße 500 Meter weiter Richtung Innenstadt, ins „Monokel“. Das erste „Filou“, das vorher „Droschke“ hieß, führte ihn dann 1992 zurück ins Stadtteilzentrum. Da hier aufgrund anderer Pläne des Vermieters ein Ende absehbar war, übernahm er parallel zwei Jahre später am heutigen Standort den „Schnörkel“, der nach dem Aus des ersten „Filou“ 1994 das zweite wurde.

Den Niedergang der Vorort-Kneipen ab den 1990er Jahren, das Umsatz-Loch vieler Kollegen mit der Einführung des Euros, schließlich das Rauchverbot: Alle Einschläge in seiner Branche hat er weggesteckt. Das dürfte neben dem guten Netzwerk, über das er als bekannte Größe immer verfügte, auch an seinen Prinzipien gelegen haben. „Meine Läden waren immer sauber. Und Ärger habe ich nie gedudelt, einmal Hausverbot heißt immer Hausverbot“, unterstreicht er.

Darüber hinaus war er selbst nie sein bester Kunde. „Für mich stand der Sport immer im Vordergrund, ich habe nie getrunken. Das hat mich einfach nicht interessiert. Wer immer mittrinkt, der kommt nicht über die Zeit“, sagt er. Dem Sport ist er treu geblieben. Noch heute bewegt er beim Bankdrücken 150 Pfund, und das 50 bis 100 Mal am Tag – mit 75 Jahren kein schlechter Wert.

Seinen Geburtstag feierte er im engsten Kreis, immerhin noch mit 40 Personen. Wie lange er noch hinter der Theke stehen möchte? Jürgen Schmidt: „Ich habe zwar noch Lust, aber bei einem geeigneten Nachfolger würde ich auch den ,Filou’ abgeben. Langeweile werde ich dann nicht haben.“