Essen. . Auf der Zielgeraden sieht sich die Grüne Hauptstadt dem Vorwurf ausgesetzt, sie habe sich den Titel erschlichen – und weist das scharf zurück.

Umweltdezernentin Simone Raskob ist dem Eindruck entgegen getreten, die Stadt Essen hätte ihre Klimabilanz bei der Bewerbung als Grüne Hauptstadt Europas geschönt und den Titel damit zu Unrecht erhalten. „Der Vorwurf, wir hätten etwas verschwiegen, ist falsch“, sagte Raskob im Gespräch mit der Redaktion. Und: „Wir haben den Titel zurecht bekommen.“

Die städtische Beigeordnete reagierte damit auf Kritik der Umweltgruppe „Fossil Free Essen“. Diese hält die von der Stadt vorgelegte Klimabilanz für nicht vollständig. „Es wird behauptet, Essen sei ein grünes Dorf mitten in Nordrhein-Westfalen, dem Kernland der Industrie. Dem ist nicht so“, sagt Aktivist Rolf Schwermer. Weder gingen Emissionen des Aluminiumwerks der Trimet in Bergeborbeck in die Bilanz ein, noch Schadstoffe, die von Werken des RWE und der Steag in die Luft geblasen werden; an beiden Unternehmen sei Essen schließlich beteiligt, betont Schwermer.

In der 2015 verfassten Bewerbungsschrift für die Grüne Hauptstadt räumt die Stadt ein, dass der Stromverbrauch der Aluminiumhütte unberücksichtigt bleibt. Dieser macht – bei starkem konjunkturellen Schwankungen – immerhin 45 Prozent am gesamten Stromverbrauch der Stadt Essen aus – und würde deren Klimabilanz mächtig verhageln.

Dies außen vorzulassen, sei jedoch zulässig und methodisch sogar üblich, sagt Thomas Dobrick vom Umweltamt. Denn Emissionen der Industrieproduktion fließen, wie Dobrick erläutert, über bundesweite Kennzahlen in die Berechnung ein und werden auf die Einwohnerzahl umgerechnet. „Dass machen alle Städte so, um die Vergleichbarkeit möglich zu machen“, sagt Simone Raskob.

Raskob: „Wir wollten Transparenz zeigen“

Dass die Stadt den immensen Stromverbrauch der Trimet in ihrer Bewerbung dennoch ausdrücklich erwähnt, begründet die Beigeordnete so: Man habe gegenüber Brüssel größtmögliche Transparenz schaffen wollen.

Die Klimabilanz liest sich dann so: Die Kohlendioxid-Emission im Stadtgebiet sei zwischen 1990 und 2011 um 29,5 Prozent zurückgegangen – 6,3 Millionen auf 4,5 Millionen Tonnen. Pro Kopf sank der Ausstoß am klimaschädlichen CO2 auf 7,8 Tonnen. Würde man die Emissionen der Alu-Hütte mit einrechnen, wären es knapp zehn Tonnen, heißt es in der Bewerbung – offensichtlich der Vollständigkeit halber.

Rolf Schwermer von „Fossil Free“ hält die gewählte Methode nach eigenen Worten für fragwürdig, „gerade wenn man vom Verursacherprinzip ausgeht“. Schwermer geht noch einen Schritt weiter: Würden auch Emissionen von RWE und Steag mit einbezogen, läge der jährliche Pro-Kopf-Ausstoß in Essen bei knapp 27 Tonnen CO2.

„Fossil free“ protestierte auch bei der Eröffnung

Hintergrund: „Fossil Free“ fordert, dass sich die Stadt von ihren Beteiligungen trennt. Aktivisten hatten deshalb schon die Eröffnungsfeier der Grünen Hauptstadt gestört. Dass in Essen kein Braunkohlewerk steht und die Steag Kohlekraftwerke in Kolumbien und auf den Philippinen betreibt, spielt laut Schwermer keine Rolle. Es gehe darum, dass Essen als Miteigentümer sich der Verantwortung für den Klimaschutz stelle.

Raskob nennt die Forderung für abwegig. „Das würde ja bedeuten, dass wir unsere Bilanz aufhübschen könnten, wenn wir uns von den RWE-Aktien trennen.“ Die Braunkohlekraftwerke aber produzierten trotzdem weiter CO2.