Essen. . Immer öfter kommt es in Essener Bussen zu Gewalt. Beleidigungen gehören zum Alltag. Wir sind einen Abend im Nachtexpress mitgefahren.
Essen Hauptbahnhof, 23.55 Uhr: Der Nachtexpress-Bus NE 8 nach Velbert mit Manfred Maranca am Steuer ist abfahrbereit. Seit 31 Jahren arbeitet der 58-Jährige als Busfahrer, hat viel gesehen und viel erlebt, nicht immer nur schönes. Wie geht es eigentlich Ruhrbahn-Fahrern derzeit unter dem Eindruck zunehmender Gewalt im Nahverkehr, der sich auch gegen sie richtet? Darüber wollen wir reden.
Maranca lässt einsteigen, früher als nötig, sodass die Fahrgäste in dieser kalten Spätherbstnacht nicht unnötig draußen frieren müssen. Die meisten laufen an ihm vorbei ohne zu grüßen, einige sogar, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. „Früher waren die Gäste höflicher“, sagt Maranca nachdenklich. Alle kommen aber ihrer Pflicht nach und zeigen ihre Fahrkarten.
Immer öfter kommt es im Nahverkehr zu Gewalt
Zunehmend öfter, erst jüngst in Oberhausen, kommt es rund um den Nahverkehr zu tätlicher Gewalt, die Beschäftigten leben gefährlich. Mit seinen Kollegen tauscht sich Maranca regelmäßig über derartige Verbrechen aus. Er weiß um die Gefahr, aber „wenn mich die Angst begleitet, bin ich im Bus fehl am Platz.“ Nicht alle sind so furchtlos. „Bei manchen dreht sich der Magen um, wenn sie Nachtschicht hören.“ Nun ist es genau 0 Uhr. Maranca drückt aufs Pedal, die Fahrt durch die Nacht beginnt.
Die Ruhrbahn registriert jährlich Dutzende Übergriffe unterschiedlicher Art auf das Fahrpersonal. Es fängt an mit Beleidigungen, Bedrohungen und Beschimpfungen, geht übers Anspucken bis hin zu Überfällen und körperlicher Gewalt. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Maranca macht sich nicht die Mühe jede Beleidigung zu melden. Er hat sich ein dickes Fell zugelegt.
Beleidigungen gehören zum Arbeitsalltag
„Kraftausdrücke wie Arschloch, Hurensohn oder der Mittelfinger gehören zu meinem Arbeitsalltag“, sagt der desillusionierte Chauffeur. Die Anlässe sind banal, etwa wenn Maranca nach dem Fahrausweis fragt oder bittet, ohne offene Getränke und Speisen in den Bus zu steigen. Und selbst eine defekte Tür kann Aggressionen auslösen.
Von körperlicher Gewalt ist Maranca bisher verschont geblieben und klopft sich, während er das sagt, dreimal auf die Stirn. Andere Busfahrer hatten weniger Glück. Laut seiner Erfahrung kann es auf jeder Route eskalieren und jeder Kunde könnte ein potenzieller Angreifer sein. Die Herkunft spielt aus seiner Sicht keine Rolle. Im wohlhabenden Essener Süden drohen die Kinder und Jugendlichen häufiger mit den Anwälten, wenn er aufgrund von Fehlverhalten sein Hausrecht durchsetzen muss. Im sozial schwächeren Norden ist er eher einen härteren Umgangston und entsprechendes Auftreten gewöhnt.
Busfahrer durch Sicherheitsglas geschützt
Die Ruhrbahn hat aufgrund der zunehmenden Gewalt reagiert. Mittlerweile werden alle neuen Busse mit Sicherheitsglas ausgestattet, die alten Busse nachgerüstet. Der Busfahrer wird dadurch vom Kunden komplett abgeschirmt.
Manfred Maranca hätte vor 31 Jahren nicht im Traum gedacht, jemals in solch einer Kabine zu sitzen. Prinzipiell schätzt er den Kundenkontakt, doch die Sicherheit gehe nun mal vor. Insofern begrüßt er den Schutz, auch wenn er sich hinter der Glasscheibe gelegentlich wie ein Tier im Käfig vorkommt.
Der 18 Meter lange und 2,5 Meter breite Bus fährt durch die schmale Rüttenscheider Straße, was selbst für einen routinierten Busfahrer eine Herausforderung ist. Gelegentlich steigen gut gelaunte Fahrgäste in den Bus, die aus den Kneipen strömen. Der eine oder andere nutzt die hintere Tür, ohne das Ticket vorzuzeigen, wie es vorgeschrieben ist.
Anders als manche Kollegen, verzichtet Manfred Maranca darauf, nach hinten zu laufen um die Fahrkarten zu kontrollieren. Die Fahrt würde nicht reibungslos verlaufen, außerdem würde er sich einem unkalkulierbaren Risiko aussetzen, sobald er die Fahrerkabine verlässt.
Fingerspitzengefühl im Umgang mit Kunden
Im Deeskalationstraining für Fahrer der Ruhrbahn, wird „Fingerspitzengefühl“ im Umgang mit den Kunden vermittelt. Maranca nimmt daran teil und sagt, er trete seither selbstbewusster auf. Der kampfsporterfahrene Busfahrer besucht außerdem die Selbstverteidigungskurse seines Arbeitgebers. Die Präsenz des Sicherheitspersonals an Wochenenden und in der Nacht weiß er dennoch zu schätzen. Die Männer vermittelten Fahrern und Fahrgästen Sicherheit.
Auf dem Streckenabschnitt von Bredeney, über Werden nach Velbert steigen vereinzelt einige Leute aus und fast keine mehr ein. Über weite Teile ist es stockduster und die Straßen sind menschenleer. Gerne erinnert sich Maranca an Gäste zurück, die sich wegen Fundsachen bei ihm bedanken. Einmal hat er drei Flaschen hochwertigen Wein erhalten, weil er eine herrenlose hochwertige Kamera seinem Besitzer überreichen konnte.
Um 1.10 Uhr hat der Nachtexpress die Endhaltestelle in Velbert erreicht. Drei Gäste sitzen noch im Bus, zwei davon schlafen Schulter an Schulter. Nun verlässt Maranca doch seine Fahrerkabine, um die beiden vorsichtig zu wecken. Seit 16.25 Uhr ist er nun unterwegs, es war eine ruhige Schicht. So kann es bleiben. In drei Jahren möchte Manfred Maranca in Rente gehen.
>>>91 Busse mit Fahrerschutzscheiben
Für die Ruhrbahn in Essen fahren 516 Busfahrer und 46 Busfahrerinnen.
Immer noch verfügen 91 Linienbusse in Essen über keine Fahrerschutzscheibe.
73 Busse sind zwar mit einer einfachen Fahrerschutzscheibe ausgestattet, sie kapseln die Fahrerkabine aber nicht vollständig ab.
Dies ist jetzt mit der optimierten Fahrerschutzscheibe möglich, von denen es jetzt schon 33 gibt. Im nächsten Jahr sind 70 Busse mit dieser Sicherheitseinrichtung ausgestattet. Für jede weitere Neubestellung zählt sie dann zum Standard.