Essen. . Vergnügliches Chaos und lustvoller Klamauk: René Heinersdorff zeigt den Komödien-Klassiker „Charlys Tante“ im Rathaus-Theater in neuer Fassung.

Kleider machen Bräute. Kaum hat sich der kantige Gärtner Babbs die Handschuhe, das kecke Hütchen und den seltsamen Damen-Fummel übergezogen, sind die Herren auch schon wie jeck. Heiratsanträge und Herzen werden in Brandon Thomas’ Komödien-Klassiker „Charleys Tante“ in Windeseile verteilt. Das ist seit 125 Jahren so. Dass man die Mutter aller Travestiekomödien auch heute noch quicklebendig und hochkomödiantisch spielen kann, beweist nun Regisseur und Hausherr René Heinersdorff mit seiner Fassung von „Charlys Tante“ (ohne e) im Rathaus-Theater.

In Zeiten, in denen Anstandsdamen in etwa noch so zeitgemäß erscheinen wie Rechenschieber oder Pferdekutschen, hat sich Heinersdorff einen neuen Dreh überlegt. Charly und Jack, die beiden Jungspunde aus gutem Hause, brauchen eine weibliche Aufpasserin, weil sie sich in zwei junge Türkinnen verliebt haben. Aishe und Sema haben einen streng-konservativen Vater, tragen gleichwohl superkurze Schuluniform-Röckchen und kesse Sprüche auf den Lippen. Von einer Culture-Clash-Komödie mit Kopftuch-Clinch ist diese Komödie in jedem Fall meilenweit entfernt. In Brandon Thomas’ Komödie ist das Fremde schließlich ganz Ausweis von Weltgewandtheit und Exotik. Entsprechend gleicht die Bühne einem tropischen Gewächshaus, wo Vögel singen, Affen kreischen, noble Damen als „feurige Enten“ im Gedächtnis bleiben und die Kerle Hummeln im Hintern haben.

Der Stoff wurde schon mehrfach verfilmt

Autor Brandon Thomas schrieb „Charleys Tante“ 1892. Der Stoff wurde mehrfach verfilmt, etwa 1956 mit Heinz Rühmann und 1963 mit Peter Alexander. Regisseur Sönke Wortmann brachte 1996 eine Kinofassung heraus.

„Charlys Tante“ wird in der Fassung und Inszenierung von René Heinersdorff bis zum 7. Januar 2017 im Rathaus-Theater gespielt. Karten und Termine unter 24 555 55 und online www.theater-im-rathaus.de

Und so überreden Charly und Jack den gutmütigen Babbs kurzerhand, die Rolle von „Charlys Tante“ zu übernehmen. Die kommt aus Brasilien zu Besuch, verspätet sich aber zum verabredeten Date als Anstandsdame. Und gerade, als der eingesprungene Babbs als Donna Lucia d’Alvadorez so richtig in Fahrt gekommen ist und nicht nur Aishes und Semas Vater, der umtriebige Herr Spittigü („Import, Export“) Feuer für die rustikale „Donna Döner“ gefangen hat, betritt auch die echte Tante den Schauplatz dieser hormonellen Verwicklungen. Vergnügliches Chaos und kurzweiliger Klamauk: Um den Boulevard-Klassiker heute mit seinen grotesken Wendungen und skurrilen Figuren unterhaltsam auf die Bühne zu bringen, braucht es Tempo, Timing und ein hochbewegliches Ensemble. Von alledem hat Heinersdorffs Inszenierung genug. Allen voran Markus Majowski als „Charlys Tante“. Der Berliner Comedian macht nicht auf ulkige Tunte, sondern brilliert als Kerl in Kleidern; schlagfertig, staubtrocken und herrlich augenzwinkernd in seinem Gurren und Schnurren.

Patrick Dollmanns Lebemann Jack ist ein ebenso hochtourig-agierender wie ironiebegabter Komödiant, Matthias Koflers Charly hat Charme und Schwung, Clara Cüppers und Kim Zarah Langner bezaubern als türkisches Schwesternpaar mit kecker Jungmädchen-Attitüde. Und Francesco Russos Mustafa Spittigü darf als radebrechender türkischer Patriarch an der Karikatur vorbei schrammen. An dieser Stelle bleibt „Charlys Tante“ ganz in der alten Zeit – weit vor Genderdebatte und Political Correctness. Viel Gelächter und begeisterter Applaus.