Essen. . Vor zwei Jahren war die Flüchtlingskrise auf dem Höhepunkt. Viele Probleme wurden nicht gelöst, sondern nur verlagert. Ein Kommentar.

Zwei Jahre ist es her, dass die Flüchtlingskrise zum alles beherrschenden Thema wurde, und sie hätte Essen zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt erwischen können: Oberbürgermeister Reinhard Paß wurde im Herbst 2015 abgewählt, sein Nachfolger Thomas Kufen tastete sich ins Amt. Die starken Männer hießen Ordnungsdezernent Christian Kromberg und Sozialdezernent Peter Renzel, die unter dem Druck der Verhältnisse und der lastenden Verantwortung teure Fehler machten, was zumindest Renzel heute ansatzweise einräumt.

Gleichzeitig wurden in Essen politische Konflikte ausgetragen, die woanders meist nur in Hinterzimmern schwelten. Dass die SPD-Ortsvereine im Essener Norden die Überforderung der Stadtteile durch zu viele Flüchtlingsheime sogar per Demonstration an die Öffentlichkeit bringen wollten und eine gerechtere Verteilung forderten, galt damals als ungeheurer Tabubruch, für den sich die SPD bis in die Landes- und Bundes-Spitze hinein schämte. Dabei hatte diese Aktion nichts mit Rassismus, aber viel mit guter Kenntnis der realen Probleme vor Ort zu tun.

Probleme konnten letztlich nicht gelöst werden

Diese Probleme konnten letztlich nicht gelöst werden, sie haben sich nur verlagert. Schon lange gibt es zwar keine Zeltdörfer mehr, weil sich der Wohnungsmarkt im Essener Norden als weit aufnahmefähiger erwies als gedacht. Dafür gibt es nun steigende Ausgaben für die soziale Sicherung und dramatische Hilferufe von Schulleitern, die mit der viel zu großen Anzahl an schulpflichtigen Kindern ohne Deutschkenntnisse nicht mehr zurechtkommen.

Ein weiteres Beispiel: Die städtische Wohnungsgesellschaft Allbau vermietet nur noch vereinzelt und zögerlich an Flüchtlinge und Asylbewerber, um Ghettobildung und den Zusammenstoß allzu unterschiedlicher Kulturen und Alltagsgepflogenheiten zu vermeiden. Verständlich, denn die konfliktreiche, längst nicht immer von Erfolg gekrönte Praxis der Integration ist eben nicht mit einem Straßenfest zu verwechseln, bei dem sich alle versichern, wie schön bunt die Stadt geworden ist.

Essener Politik spricht die Dinge schonungsloser an

In den sozialen Netzwerken und Stadtteil-Foren im Internet, überall da, wo die Leute offen reden, lässt sich jedenfalls eine andere Realität herauslesen. Selbst wenn die Wahrheit in der Mitte läge – es gibt schließlich auch Erfolge und gute Beispiele – so wäre diese Realität immer noch ernst genug.

Die Essener Politik spricht die Dinge erfreulicherweise schonungsloser an, als dies andernorts üblich ist. Allerdings sind auch Scheinlösungen im Schwange. Wenn die Schulen im Essener Norden überfordert sind, möge man Schüler doch in den Süden karren, fordert die SPD. Klingt auf den ersten Blick gerecht und würde vielleicht kurzfristig helfen. Ob es aber schlau ist, die Überforderung mittelfristig auf die gesamte Stadt auszudehnen, darf man bezweifeln.

Interessen des Landes und Möglichkeiten der Städte müssen mehr Beachtung finden

Die Zustände in Teilen des Essener Nordens sind eher ein Plädoyer für eine ganz andere Einwanderungspolitik – eine, die weniger Anreize an die Falschen aussendet. Stattdessen müssen die Interessen des Landes und die finanziellen und integrationspolitischen Möglichkeiten der Städte mehr Beachtung finden. Und eine größere Rolle spielen sollte schließlich auch die begrenzte integrative Kraft derjenigen, „die schon länger hier leben“, wie es die Bundeskanzlerin einmal in ihrer unnachahmlichen Art formulierte.