Essen. . Spielwitz und scharfes Profil: Brechts „Kleinbürgerhochzeit“ an der Studiobühne. Thorsten Simon inszeniert das Stück sicher am Klamauk vorbei.

Zu Anfang decken Bräutigammutter und Brautschwester in freudig erregter Beflissenheit den Tisch, nur eine Stunde später liegt alles in Trümmern: Die Fassade bürgerlicher Wohlanständigkeit ebenso wie die Inneneinrichtung. Selbst die Beziehung der Brautleute droht bereits aus dem Leim zu gehen wie das selbstgezimmerte Mobiliar. In der Zwischenzeit hat das bestens aufgelegte Personal der Studiobühne mit Brechts Kleinbürgerhochzeit für Lacher, aber auch für gelegentlichen Schauder gesorgt.

Tatsächlich hat die bitterböse kleine Farce über eine aus dem Ruder laufende Familienfeier in den letzten 100 Jahren wenig an Aktualität eingebüßt: Auch wenn eine schwangere Braut mittlerweile keine Schnappatmung mehr auslöst, bleibt die Groteske um Anspruch und Wirklichkeit doch zeitlos.

Sehr vertraut scheinen die Charaktere: Der joviale Vater (Wolfgang Ried), der seine allzu weit ausholenden Anekdoten zuverlässig jenseits der Geschmacksgrenze vorträgt, die um Harmonie und reibungslose Speisenfolge bemühte Übermutter (Eva Fendel), die frustriert spitzzüngige Ehefrau, der jugendliche Geck (Max Falder) und die lüsterne Naive (Petra Hollstein). Dem Titel gemäß tragen die weiblichen Darsteller grelle Kunstfasercouture, die Männer erscheinen in Acrylanzug oder Ghettochic (Kostüme: Sarah Maus).

Vorstellungen auch in 2018

Die nächsten Vorstellungen der „Kleinbürgerhochzeit“ stehen am 17. und 18. November (20 Uhr) sowie am 19. November, 18 Uhr, (ausverkauft) auf dem Spielplan.

Weitere Termine gibt es 2018, am 26., 27., 28. Januar sowie am 3., 4. Februar. Karten: 55 46 01 (14 – 17 Uhr) und 55 15 05 (Anrufbeantworter)

Dass diese schrecklich nette Familie trotz der Stereotype ein scharfes Profil bekommt, ist dem Spielwitz des Studiobühnenensembles geschuldet: Da fliegen Blicke hin und her wie Projektile – selbst in der zweiten Reihe möchte man noch Deckung suchen. Da weiß die Freundin der Braut (großartig: Claudia Welzel) jede ihrer exquisiten Bösartigkeiten mit einer jeweils noch südlicheren Position ihrer dauertiefgelegten Mundwinkel zu begleiten. Ihr um Impulskontrolle ringender Ehemann (Ralph Evers) bringt vor unterdrückter Wut die Luft zum vibrieren, während Steffy Püttmann die Rolle als mephistophelischer Intrigant so überzeugend ausfüllt, dass man einen leichten Schwefelhauch wahrzunehmen glaubt. Bemerkenswert auch, wie nahtlos Patrick Walther vom heimwerkenden Biedermann zum Haustyrannen mutiert und die eingangs blasse Braut (Sabine Precz) schrittweise Kontur und Kampfgeist entwickelt.

Dabei steuert Thorsten Simons (Regie) die Komödie der kollabierenden Kleinmöbel sicher am Klamauk vorbei. Umso mehr gelingt es ihm, die seelischen Abgründe offenzulegen. In der Tanzszene gerät das fast zu einem Ballett der sieben Todsünden: Aggression und sexuelle Gier gefrieren wie unter Stroboskoplicht zu beinahe allegorischen Standbildern, im Hintergrund wummert dazu Elektromusik. Vielleicht hier und da ein wenig plakativ, allerdings hat man das an deutlich größeren Bühnen auch schon deutlich schlechter gesehen.