Essen. . Gespräch mit Superintendentin Marion Greve anlässlich des 500. Jahrestages der Reformation. Kirchenfrau sieht Essen in der Ökumene weit vorn.
- Für Superintendentin Marion Greve bedeutet Reformation, dass sich Kirche weiter erneuern muss
- Den 500. Jahrestag der Reformation feiern die evangelische und katholische Kirche zum ersten Mal zusammen
- Kirchenfrau sieht Essen in der Ökumene weit vorn und erwartet in den nächsten Jahre eine weitere Annäherung
Theaterszenen und Tischgespräche, gemeinsame Mahlzeiten und ein Gottesdienst für Biker im Katernberger Bergmannsdom: Mit 22 Gottesdiensten und Andachten begehen die Protestanten in Essen an diesem Dienstag den 500. Jahrestag der Reformation. Superintendentin Marion Greve feiert an zwei unterschiedlichen Orten – abends in der zentralen Festveranstaltung „Luthers Kraft in Musik“ in der Philharmonie und morgens in Rellinghausen. „Die Kirche an der Oberstraße werde ich als ganz normale Christin besuchen“, sagt die Kirchenfrau, die seit 2014 im Amt ist.
Es sei ein Gottesdienst, in dem sich die Gemeinde demonstrativ öffne. Freunde der katholischen St. Lambertusgemeinde werden ebenso erwartet wie die Neuapostolische Gemeinde und die junge Glaubensinitiative Mosaik im Revier. „Ich feiere an diesem Tag die Erkenntnis, dass die eigene Stimme zählt. Es zählt, was ich als Christin – gebunden an das biblische Wort – denke und glaube.“
Wegen des Jubiläums gibt es zum ersten Mal einen Feiertag für alle. Erzeugt er die erhoffte gesteigerte Aufmerksamkeit? „Dazu ein ganz klares Ja“, betont Greve. Denn in unzähligen Veranstaltungen habe man sich seit Jahresbeginn nicht hinter die Kirchenmauern zurückgezogen, „sondern wir sind ganz bewußt hinausgetreten in die Stadt“.
Eine schmerzende Wunde: das Abendmahl nicht gemeinsam feiern zu können
Über Jahrhunderte haben die evangelische und katholische Kirche das Trennende betont, sich im barbarischen 30-jährigen Krieg gar bekämpft und massakriert, später gedemütigt und gekränkt. Heute heißt das Zauberwort Ökumene, den Reformationstag feiern sie demonstrativ zusammen. Ein Wunder? Nun, so hoch möchte die Superintendentin nicht greifen. Aber es habe sie begeistert zu entdecken, „dass uns viel mehr vereint als trennt“. Das Abendmahl nicht gemeinsam feiern zu können, sei eine schmerzende Wunde. Doch insgesamt gedeihe die Ökumene hervorragend, und Essen sei weit vorn.
Sie erinnert an den Versöhnungsgottesdienst am 22. Januar im übervollen Dom und lobt die enge Zusammenarbeit von Diakonie und Caritas sowie das tatkräftige Miteinander in der Flüchtlingsarbeit.
Wenn bloß diese Zahlen nicht wären. Die jüngste Auswertung des Amtes für Statistik belegt, wie sehr die Konfessionsbindung in Essen nachgelassen hat. Aktuell sind 139 039 Essener evangelisch und 202 732 katholisch. Zum Vergleich: 1987 waren noch 229 400 evangelisch und 297 800 katholisch. Ein Schrumpfungsprozess, so Greve, der den Mantel zu groß gemacht habe – und zwangsläufig dazu führe, dass Säle, Gemeindezentren und sogar Kirchen in absehbarer Zeit gemeinsam genutzt werden müssten.
Evangelische Gemeinde in Gerschede kommt vorübergehend bei den Katholiken von St. Paulus unter
In Gerschede etwa habe die Gemeinde den Standort Samoastraße aufgegeben und sei bei den Katholiken von St. Paulus untergekommen. „Liebe Marion, liebe Schwestern und Brüder“, schreibt der katholische Stadtdechant Jürgen Cleve und preist die Ökumene, die geprägt sei von „persönlichem Vertrauen, hoher theologischer Reflexion und pragmatischem Miteinander“.
Bis 2024, wenn ihre Amtszeit endet, sieht sie noch mehr Annäherung. Warum die Kirchen dann nicht gleich wiedervereinigen? Marion Greve zögert einen Moment, macht aber aus ihrer Skepsis kein Hehl. Sie bejaht gerne die „versöhnte Verschiedenheit“, weist aber zugleich darauf hin, dass Frauen in ihrer Kirche Pfarrerinnen werden dürfen. Eine Errungenschaft, bei der es nicht einen Millimeter zurückgehe.
Das Lutherjahr empfindet sie als Ermutigung. „Reformation heißt, Kirche weiter zu erneuern.“ Zugang zu finden zu denen, die Kirche fern stünden. Oder jungen Erwachsenen eine neue Heimat im Kirchenraum zu geben, Gottesdienste für sie eigens auf den Freitagabend verlegen.
Scharfe Abgrenzung von jenen, die mit völkischem und rechtsradikalem Gedankengut unterwegs sind
Die großen Kirchen schrumpfen, die Volksparteien auch. Kräfte, die auf drängende Fragen einfache Antworten geben, legen zu. „Ich werde mit Populisten im Gespräch bleiben“, stellt die Superintendentin klar, „aber nicht mit denen, die mit völkischem und rechtsradikalem Gedankengut unterwegs sind“. Die Bibel, die der Reformator ins Deutsche übersetzt habe, stehe für eine offene, demokratische und friedliebende Gesellschaft“.
Zu den drängendsten Aufgaben der Gegenwart zählt sie die Integration von Flüchtlingen und Migranten. Sie wisse um die Ängste der Menschen und gelobt, die engagierten Nordgemeinden stärker zu unterstützen. „Was diese für Karnap, Altenessen und Katernberg tun, tun sie für die ganze Stadt.“