Essen. . Experten reparieren Kokerei-Schornsteine auf Zollverein. Nummer 3 wird mit 200 000 Steinen neu gebaut. Stiftung investiert 4,5 Millionen Euro.

  • Die sechs Schornsteine der Kokerei haben ebenso wie die Zeche Zollverein mit Schacht XII Welterbe-Status
  • Weil ihre Mauerwerk 24 Jahre nach der Stilllegung porös ist, muss für 4,5 Millionen Euro saniert werden
  • Spezialisten bauen Schornstein Nummer 3 komplett neu auf und vermauern bei fast 200 000 Klinkersteine

Den Spezialberuf des Feuerungs- und Industrieofenbauers hat Uwe Bunzel zu DDR-Zeiten von der Pike auf gelernt. „Erich Honecker war damals noch in Amt und Würden“, sagt der 54 Jahre alte Thüringer augenzwinkernd. Bald vierzig Jahre später stellt er sein Können jetzt auf der Kokerei Zollverein erneut unter Beweis. Als Polier baut er mit seiner kleinen Mannschaft „Schornstein 3“, einen der sechs Backstein-Giganten, wieder neu au. „Es ist mein erster Schornstein seit der Wende.“

Der Stahlkorb für die Personenfahrt gleitet fast lautlos durchs finstere Kamin-Innere. In nur einer Minutehat er sein Ziel erreicht: die Arbeitsbühne in 55 Meter Höhe.
Der Stahlkorb für die Personenfahrt gleitet fast lautlos durchs finstere Kamin-Innere. In nur einer Minutehat er sein Ziel erreicht: die Arbeitsbühne in 55 Meter Höhe. © Socrates Tassos

Der Stahlkorb für die Personenfahrt nach oben ist ein schmaler orangener Zylinder, dessen Form an die legendäre Dahlbuschbombe erinnert. „Auf!“, sagt Bunzel ins Mikro, und schon lässt Windenfahrer Heinz Remer, genannt „Heinzi“, die Kapsel fast lautlos durchs finstere Kamin-Innere gleiten. Nach bloß einer Minute hat sie ihr Ziel erreicht: die hydraulische Arbeitsbühne, die heute bei 55 Meter steht.

„Der Job geht auf die Knochen und ins Kreuz“

„Wir sind drei Mann oben und schaffen jeden Tag einen halben Meter“, sagt Bunzel. Bei gutem Wetter gestattet sein luftiger Arbeitsplatz einen faszinierenden Rundum-Blick übers längst wieder ergrünte Ruhrgebiet. Aber an diesem kühlen diesigen Spätsommertag liegt das Revier unter einer grauen Watteschicht, selbst das schneeweiße Dach der Schalke-Arena ist darunter kaum auszumachen.

Die Spezialisten: Luis Bunzel, Reiner Mildner und Uwe Bunzel (v.l.) auf der Schornstein-Bauselle.
Die Spezialisten: Luis Bunzel, Reiner Mildner und Uwe Bunzel (v.l.) auf der Schornstein-Bauselle. © Socrates Tassos

Für verträumte Fernblicke haben Bunzel und seine Leute, darunter Sohn Luis (28) und Rainer Mildner (61), hier oben ohnehin keine Zeit. „Der Job geht auf die Knochen und ins Kreuz“, sagen sie.

Zollverein-Liebhaber und Denkmalschützer geraten beim Anblick der riesigen Kokerei-Schlote, die die 600 Meter lange Koksofenbatterie säumen, genauso ins Schwärmen wie beim imposanten Doppelbock von Schacht XII. Auch sie sind Welterbe und unbedingt erhaltenswert. Weil das Mauerwerk der 80 bis 96 Meter hohen Riesen aber seit der Stilllegung der Kokerei 1993 ziemlich porös geworden ist, muss gründlichst saniert werden. Eine Stiftungssprecherin beziffert die gesamten Sanierungskosten mit stattlichen 4,5 Millionen Euro. Beträge, bei denen altgediente Zollverein-Bergleute die Augen verdrehen.

Schornstein 3 war so marode, dass er komplett abgebaut werden musste

Am aufwändigsten sind die Arbeiten an Schornstein 3, der so marode war, dass sie ihn bis zum Frühjahr nahezu vollständig abbauen mussten: von 80 auf nur noch 6,50 Meter.

Annähernd 200 000 Steine werden für Schornstein 3 verarbeitet. Drei Mann schaffen pro Tag einen halben Meter – aber nur wenn das Wetter mitspielt.
Annähernd 200 000 Steine werden für Schornstein 3 verarbeitet. Drei Mann schaffen pro Tag einen halben Meter – aber nur wenn das Wetter mitspielt. © Socrates Tassos

Nicht nur für Außenstehende handelt es sich um eine Baustelle der Superlative. „Wir verarbeiten nur für diesen Schornstein 118 000 normale Klinkersteine und 80 000 Radialsteine“, sagt Bunzel. Damit der Backstein-Riese schön rund und hoch droben schmaler wird als unten, besitzen letztere eine gekrümmte Seite. Die Zeichnung unten im Büro gibt die exakten Aufmaße vor. „Unten hat der Schornstein einen Durchmesser von 6,00 und ganz oben von nur noch 3,82 Meter.“ Damit das Meisterwerk gelingt, müssen die Schornsteinbauer nach jeder sechsten Schicht aufs Neue loten – mit einer Spezialwasserwaage Marke Bunzel.

„Du darfst hier oben nicht träumen, sonst liegst du unten“

In schwindelerregender Höhe zu arbeiten, ist nicht jedermanns Sache. Selbstverständlich sind Bunzels Männer höhentauglich, die berufsgenossenschaftliche Untersuchung „G 41“ – Arbeiten mit Absturzgefahr – kann jeder vorweisen. Vorsichtig arbeiten ist auf dieser Baustelle genauso wichtig wie das akkurate Setzen einer Schicht Steine. „Du darfst hier oben nicht träumen, sonst liegst du unten“, sagt Bunzel. Und fügt hinzu: „Du musst immer gucken, wo du hintrittst, und ständig ein Auge für deinen Kollegen haben.“ Wenn es zum Fugen aufs äußere Konsolgerüst geht, tragen die angeseilten Männer Spezialgurte wie Bergsteiger.

Heute kommen sie gut voran. Es bleibt den ganzen Tag trocken, der Wind ist erträglich. Damit die Männer mit der großen Herzkelle ranklotzen können, hängt Manfred Gideon („Manni“), der zum Bodenpersonal gehört, unten unaufhörlich volle Speisfässer und schwere Steine-Pakete an die Seilwinde. „Bei Regen geht gar nichts, so wie letzte Woche.“ Dann legen sie eine Plane auf die Arbeitsbühne und machen sich schnell aus dem Staub. Auch ab Windstärke 6 müssen sie die Kelle sofort aus der Hand legen.

Im Frühjahr hat die Spezialfirma mit dem Wiederaufbau begonnen, im Dezember wollen sie in 78,70 Meter Höhe den Schlussstein setzen.
Im Frühjahr hat die Spezialfirma mit dem Wiederaufbau begonnen, im Dezember wollen sie in 78,70 Meter Höhe den Schlussstein setzen. © Socrates Tassos

Spätestens im Dezember hofft der Polier in exakt 78,70 Meter Höhe den letzten Stein setzen zu können. „Dann habe ich zum ersten Mal einen Schornstein gebaut, durch den niemals Rauch ziehen wird.“

Ein neuer Schornstein für Zollverein

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