Essen. Vor knapp einem Jahr stirbt ein hilfloser Mann in Vorraum einer Bank. Vier Bankkunden ignorieren ihn. Montag stehen drei von ihnen vor Gericht.
- Der Fall in einer Borbecker Bank sorgte im Oktober 2016 deutschlandweit für Aufsehen
- Ein Gutachten sagt, dass der Rentner auch bei früherer Hilfe gestorben wäre
- Mit einem Urteil in dem Prozess rechnen die Experten bereits am Montag
Eine Bankfiliale in Essen-Borbeck. Im Vorraum bricht ein Rentner zusammen, hilflos liegt der 83-Jährige neben den Bankautomaten. Auf dem Video der Überwachungskamera sind die vier Bankkunden zu erkennen, die um den Mann herumgehen, die über ihn hinwegsteigen und ihn achtlos liegen lassen. Erst der fünfte Kunde alarmiert den Arzt. Der Rentner stirbt eine Woche später im Krankenhaus.
Deutschlandweit sorgt der Fall für Schlagzeilen, er heizt zudem die Debatte an über eine Verrohung der Gesellschaft. Nun müssen sich drei der vier Kunden auf dem Video wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht verantworten.
Anklage wirft ihnen unterlassene Hilfeleistung vor
„Wie abgestumpft muss man sein, um hier nicht zu reagieren?“, schimpft damals, im Oktober vor einem Jahr, jemand auf Twitter. „Jeder hat schließlich ein Handy!“ Ein anderer schreibt: „Es hätte euer Vater oder Opa sein können.“ Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) zeigt sich „nachdenklich und betroffen zugleich“, auch Essens Bischof Franz-Josef Overbeck zeigt sich erschüttert.
Die ganze Fassungslosigkeit liest sich auch aus den Zeilen der Polizeimitteilungen jener Tage zu dem Fall und den Kunden: „Teilweise gingen sie nah an dem Sterbenden vorbei oder stiegen hinüber, um ihre eigenen Finanzgeschäfte durchzuführen“, heißt es darin unter anderem.
In der Anklageschrift werden die entscheidenden Momente festgehalten: Demnach will der Rentner am 3. Oktober, dem Tag der Einheit, seine Bankgeschäfte an einem Überweisungsautomaten erledigen. Innerhalb weniger Minuten stürzt er zweimal rückwärts, er kommt dabei mit dem Kopf auf dem Fliesenboden auf. Nach einem dritten Sturz bleibt er liegen. Wenige Minuten später betreten nacheinander vier Kunden die Filiale. „Die Angeklagten sollen den auf dem Boden liegenden Mann nicht beachtet und sich nicht um ihn gekümmert haben“, wirft ihnen die Anklagebehörde vor.
Der 83-Jährige starb an einer Schädel-Hirn-Verletzung
Erst sieben Minuten später kommt ein fünfter Kunde, der endlich die Nummer des Notrufs wählt. Weitere 20 Minuten später trifft ein Rettungswagen ein und bringt den Senior in eine Klinik. Das Bewusstsein erlangt er nicht wieder, der Mann stirbt eine Woche später.
Zwar ergibt ein Gutachten, dass der Rentner auch gestorben wäre, hätte sich ein Arzt früher kümmern können. Laut Obduktion erlitt der 83-Jährige eine Schädel-Hirn-Verletzung, die vom Sturz auf den Hinterkopf stammen könnte. Für viele unverständlich bleiben dennoch die Reaktionen der Bankkunden.
Zwei der Angeklagten sagten nach früheren Angaben der Staatsanwaltschaft aus, sie hätten den zusammengebrochenen Mann für einen Obdachlosen gehalten. Allerdings werten die Ankläger dies als Schutzbehauptung, schließlich hatte der Mann etwa keine Plastiktüten dabei und keinen Schlafsack. Dagegen spreche auch die Position, in der der Mann auf dem Fliesenboden gelegen habe.
Urteil könnte noch am Montag fallen
Vor Gericht stehen am Montag ein 55-jähriger Mann aus Oberhausen sowie eine Frau (39) und ein Mann (21) aus Essen. Beim vierten Angeklagten, einem ebenfalls 55 Jahre alten Mann aus Essen, wird noch geprüft, ob er verhandlungsfähig ist.
Noch am Montag könnte nach Einschätzung des Gerichts ein Urteil fallen. Sechs Zeugen sind geladen. Neben vier Polizisten und dem Mann, der den Notruf wählte, wird auch die Tochter des gestorbenen Rentners erwartet. (dpa)