Essen. . Zum Tod von Günter Lamprecht: Der Schauspieler hat in den 60ern am Theater Essen große Rollen gespielt und mit der Familie in Steele gelebt.

„Berlin Alexanderplatz“ war die Adresse seines größten künstlerischen Erfolges. Aber wenn man Günter Lamprecht nach seiner zweiten Heimat gefragt hat, dann war das eindeutig das Ruhrgebiet. „Hier ist es sinnlich, hier ist es menschlich, hier fühlen sich nicht alle zu Höherem geboren“, hat Lamprecht schon in seiner Biografie geschrieben.

Den Satz hat er auch bei seinem letzten Besuch in Essen noch einmal unterstrichen. 2017 war der damals 87-Jährige zum 125-jährigen Jubiläum des Essener Grillo-Theaters noch einmal an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt. Der folgende Text erinnert an die Begegnung mit Günter Lamprecht, der vor wenigen Tagen mit 92 Jahren gestorben ist.

  • Dieser Artikel erschien das erste Mal am 13. September 2017

Lamprecht ist an diesem Nachmittag gekommen, um sich zu erinnern - an spannende Uraufführungen, an große Franzosen-Abende von Genet bis Serrault und die Einladung zum Berliner Theatertreffen. Mitte der 1960er Jahre ist das. Und Lamprecht damals noch ein junger Theaterschauspieler, der seine ersten Meriten am Schauspielhaus Bochum bei Hans Schalla gesammelt hat. Von da aus wechselt er 1959 an die Städtischen Bühnen Oberhausen, spielt auch in Wiesbaden und Heidelberg. Und eben am Essener Theater. Zu den Proben kommt er anfangs mit dem Schienenbus aus Oberhausen, später zieht er nach Steele, zusammen mit den Kindern und Ehefrau Gisela Zülch, die auch in Essen engagiert ist.

Enge Freundschaft mit Stahlarbeitern

Intendant Erich Schumacher muss anfangs ein bisschen überzeugt werden von dieser Berliner Urgewalt, der die rauen Typen nicht nur spielt, sondern ihre Tonlage aus dem Effeff beherrscht: „Ich hatte in dieser Zeit ein bisschen die rote Karte“, lächelt Lamprecht. Mit den Stahlarbeitern in Bochum pflegt er enge Freundschaften, das Malocher-Leben ist ihm nicht fremd. „Ich kam aus einem Arbeiterhaushalt in Berlin. Da waren mir diese Menschen am nächsten“, erklärt Lamprecht.

Es ist die Zeit, als die Schlote noch rauchen und die Hochöfen glühen - während in Ruhrgebietsstädten wie Oberhausen richtig „progressives Theater“ gemacht wird, schwärmt Lamprecht, „eine tolle Zeit“. Als Joachim Fontheim, selber Schauspieler und später langjähriger Generalintendant an den Vereinigten Städtischen Bühnen Krefeld Mönchengladbach, Oberspielleiter in Essen wird, kommt auch Lamprecht dazu. Denn Fontheim ist einer, der „vieles durchsetzt“, erinnert sich Lamprecht - und den Berliner Taxifahrer-Sohn offensiv einsetzt. „Ich habe hier drei Jahre lang sehr intensiv im Theater gelebt und große Rollen gespielt“.

Lamprecht erinnert sich an packende Inszenierungen wie die Bühnenfassung von Tolstois „Krieg und Frieden“ 1967. Über den „Revisor“ mit Lamprecht in der Hauptrolle schwärmt „Theater heute“ auf drei Seiten. Das Stück „Gilda ruft Mae-West“ über den Piloten, der die Atombombe auf Hiroshima abgeworfen hat, wird in der Grugahalle zum spektakulären Stationendrama auf Drehstühlen. „Man war auch stolz, dass man politisch Farbe bekennen konnte“, sagt Lamprecht.

Mit Jean Genets „Die Wände“, inszeniert von Roger Blin, wird das Essener Ensemble 1968 sogar zum Berliner Theatertreffen eingeladen -- und gewinnt. Lamprecht blickt über die Kaffeetasse auf den Schuhladen vis-à-vis der Theaterterrasse, „da war damals der Opernkeller, da hat Genet drei Tage lang geschmollt, weil er meinte, hier seien nur Nazis“, beschreibt Lamprecht aufreibende Probenzeiten.

Tolle Kritiken als proletarischer Held

Berlin bleibt nicht das einzige Auswärtsspiel. „Hier um die Ecke stand das Ensemble, als der Bus nach Warschau ging“, erinnert Günter Lamprecht. Als erstes Theater der Bundesrepublik spielten sie 1968 in Warschau Wolfgang Borcherts Antikriegsstück „Draußen vor der Tür“, auf Deutsch. Ein anderes Gastspiel in Ostberlin wird auch zum Lehrstück politischer Diplomatie: „ Ich war damals der Einzige mit Westberliner Ausweis und bekam keine Einreiseerlaubnis fürs Gastspiel am Maxim-Gorki-Theater.“ Am Ende durfte er zwar auftreten, musste nach der Vorstellung aber wieder in den Westen rüber. „Das war schon saukomisch“, lacht Lamprecht rückblickend. „Erstmal bekam ich tolle Kritiken als proletarischer Held.“ Und dann wollte ihn das Berliner Ensemble auch gleich ans Haus holen. Dafür hätte Lamprecht in den Ostteil umziehen müssen. Wollte er damals nicht. „So blieb ich Essen noch eine Weile erhalten.“

„Der Lamprecht hat sich hier wohlgefühlt“

Lamprecht verbindet mit der Zeit nicht nur viele künstlerische, sondern auch private Erinnerungen. Da ist die Freundschaft zu Friedel Hanster, dem langjährigen Vorsitzenden des Essener Theaterrings, mit dem er nicht nur über Kunst, sondern auch über die düsteren Kriegserfahrungen in Russland spricht. Ein Thema, das Lamprecht bis heute bewegt. Ihn, der als 15-jähriger Sanitätshelfer kurz vor Kriegsende noch selber verletzt wird. Der sich intensiv mit der Nazi-Vergangenheit seines Vaters auseinandergesetzt hat und sich bis heute als Botschafter für das Friedensdorf Oberhausen engagiert.

Die Wunden, die man ein Leben lang behält, auch wenn die äußeren Verletzungen verheilt sind, die kennt er schließlich gut, auch nach dem Angriff eines Amokschützen in Bad Reichenhall, den er 1999 mit seiner Lebensgefährtin Claudia Amm nur knapp überlebt hat.

Seither ist Lamprecht immer noch viel unterwegs, vor allem mit Lesungen. In Essen hat er vor Jahren noch einmal im Rathaus-Theater Station gemacht. Die Stadt ist ihm nicht fremd geworden. Das Ruhrgebiet ist schließlich immer noch seine zweite Heimat. „Der Lamprecht hat sich hier wohlgefühlt.“

  • Dieser Artikel erschien das erste Mal am 13. September 2017