Essen. . Wo haben die Parteien in Essen ihre Hochburgen, wo haben sie ihre Probleme? Für unsere Wahlanalyse haben wir uns in den Stadtteilen umgesehen.
Im Detail steckt, wie man weiß, der sprichwörtliche Teufel, aber eben auch so manche Erkenntnis. Beim städtischen Wahlamt lautet sie etwa so: Die politische Landkarte der Stadt lässt weit mehr Farbschattierungen zu, als jenen nach Urnengängen standardmäßig gezogenen Schluss, dass da zwischen Karnap und Kettwig so eine Art Nord-Süd-Gefälle herrscht.
Für buchstäblich mehr Tiefgang reicht es schon, die Ergebnisse von Näherem zu betrachten – nicht auf der Ebene der 50 Stadtteile oder 41 Kommunalwahlbezirke also, sondern bei den deutlich kleiner geschnittenen Stimmbezirken.
Wer liegt wo vorne? Eine Analyse der Stimmbezirke
Von denen gibt es – nach einer erneuten Bereinigung für die vergangene Landtagswahl im Mai – stadtweit 322 an der Zahl: Der trotz seiner beachtlichen Flächengröße kleinste Stimmbezirk mit gerade mal 360 Wahlberechtigten liegt in Fischlaken, zwischen Baldeneysee und Oberhammskotten; der größte bietet immerhin 1987 Wahlberechtigte in Überruhr-Holthausen auf, zwischen Deipenbecktal und Bulkersteig.
Aus dem Zahlenwust haben wir uns anhand der Ergebnisse bei der Bundestagswahl 2013 auf die Suche nach den Hochburgen der Parteien gemacht: Was ist das eigentlich für eine Gegend, in der SPD und CDU, Grüne und FDP, Linke und AfD am besten abgeschnitten haben? Wie lebt man da, wo vor allem die großen Parteien die Stimmen ihrer Getreuen „einsammeln“, um eher schwache Werte andernorts auszugleichen?
Tiefer als auf Stimmbezirks-Ebene einsteigen kann man nicht: Angesichts der in Teilen schwachen Wahlbeteiligung gründen die Hochburgen mitunter auf nur wenigen hundert abgegebene Stimmen. Interessierte Amateur-Wahlforscher finden die Ergebnisse nachlesbar auf der Internetseite der Stadt.
Vogelheim: Bestlage für die SPD, CDU mit Tiefstwert
Für Vogelheim gilt dieser Satz, den Essener schon oft über ihre ganze Stadt gehört haben: „Ehrlich, das hätte ich mir nicht so grün vorgestellt.“ Im Stimmbezirk 5001, in den Quartieren östlich der Hafenstraße, ein paar Gehminuten entfernt vom Stadion, wohnt – darf man das heute eigentlich noch so sagen? – der viel zitierte „kleine Mann“, vorzugsweise in Mietwohnungen mit oft hübsch geschmückten Balkonen.
Er wohnt nicht schlecht hier, seit sich die großen Wohnungsgesellschaften – Vonovia, Vivawest und Co. – verabredet haben, ihre Bestände im Stadtteil aufzumöbeln: Vor apricot-farbenen Siedlungshäusern gibt es Rasenflächen, um die Ecke einen liebevoll gestalteten Spielplatz, und von fern ragt der Schornstein der Aluhütte in den Himmel.
Bestlage ist das hier, wenn man sozialdemokratischer Kandidat ist. Bei der Bundestagswahl 2013 erzielten die Genossen 61,0 Prozent, die CDU kam im Gegenzug auf ihren stadtweit schlechtesten Wert von 16,2 Prozent. Zum Erfolg fehlt den Roten dann nur noch der Erfolg der rot-weissen Kicker nebenan.
Rellinghausen eine echte CDU-Hochburg
Endlich mal eine Hochburg, die diesen Namen auch wirklich verdient. Denn mitten im Stimmbezirk 1203 in Rellinghausen, südlich des Schellenberger Waldes, liegt Schloss Schellenberg: im 12. Jahrhundert als Adelssitz bereits urkundlich erwähnt, und seit einigen Jahrzehnten standesgemäßer Nachbar der Seniorenresidenz Augustinum.
Im Quartier zwischen Kantorie und Renteilichtung muss man sich das Leben erst mal leisten können und das Essen im Kockshusen oder im Augustinum-Restaurant auch: 17,90 Euro fürs teuerste Fleischgericht erscheinen dem nicht mehr preiswert, der im Kleingedruckten liest, dass „die Portionsgröße aller Gerichte auf unsere Bewohner ausgerichtet“ ist.
Hier, wo der Ruf nach mehr Gerechtigkeit klingen muss wie der Ruf nach Robin Hood, den Reichen zu nehmen, um den Armen zu geben, erzielte die CDU 2013 ihr bestes Essener Ergebnis: 69,9 Prozent! Die SPD kam nur auf 12,7, ihr stadtweit schlechtester Wert, und landete damit noch hinter der FDP mit 14,5 Prozent auf Platz 3.
Grüne Wähler an der Grenze zu Rüttenscheid
Die fabelhafte Welt der Grünen erstreckt sich rings um Amélies Tee-Ecke an der Moltkestraße, oder wer mit der gastronomischen Verortung besser zu Rande kommt: zwischen dem Bahnhof Süd und der Goldbar am Isenbergplatz. Nicht weniger als 18,7 Prozent der WählerInnen haben die Grünen hier vor vier Jahren im Stimmbezirk 503 einstreichen können und kamen damit der CDU ziemlich nahe.
Dabei liegt das Epizentrum der Öko-Partei an der Grenze zum vermeintlichen Grünen-Stadtteil Rüttenscheid und präsentiert sich bei weitem nicht so gediegen, nicht so hip, nicht so ausgehfertig wie die Quartiere um die Rü.
Für eine Latte Macchiato-Zone ist es hier auch einfach zu laut, der Verkehr nervt einen auf den Hauptstraßen ganz schön, aber das könnte ja auch einer der Gründe dafür sein, dass hier jeder fünfte das Steuer herumreißen will.
Die FDP: In Bredeney fast Volkspartei
Wer hier wohnt, hat Garagen, so groß, dass gleich drei VW Golf nebeneinander hineinpassen – nur dass man hier eben doch selten Golf fährt, sondern eher spielt.
Nein, keine Vorurteile jetzt, aber dass hinter den hohen weiß getünchten Mauern und den namenlosen Klingelschildern im langgestreckten Stimmbezirk 2601 links und rechts der Westerwaldstraße nicht die versteckte Armut wohnt, ist sonnenklar.
An der Ecke bietet Dogs Inn allerlei Zubehör für den Hund an, wie Halsbänder aus Schlangenleder-Imitat für 72 Euro oder wasserdichte Hundemäntel mit angehängter polarer Fleece-Kapuze. Und ein paar Meter weiter gerät der Spaziergang über den lauschigen Friedhof Bredeney zu einer Besichtigungstour stattlicher Gräber von Albrecht bis Krupp.
In diesem Quartier dürfen sich die Liberalen mehr als irgendwo sonst in der Stadt wie eine Volkspartei fühlen: 15,2 Prozent der Stimmen haben sie bei der letzten Bundestagswahl abgeräumt, und erst wenn man eine Weile durch die Straßen lustwandelt – Brucker Holt und Eifelhang, Taunusbogen und Hunsrückstraße – fällt einem auf: Hier behelligen einen die Parteien nicht mit Wahlplakaten. Oder wurden die nächtens kurzerhand abgehängt?
Bis zur Bonnekampstraße in Katernberg, wo die FDP vor vier Jahren übrigens mit 0,8 Prozent ihr stadtweit niedrigstes Ergebnis einfuhr, sind es von hier aus nur 13,8 Straßenkilometer, aber in Wirklichkeit trennen diese beiden Orte Welten.
AfD verliert Stimmen im Ostviertel
Gestern noch eine Hochburg – morgen allenfalls noch ein Herrenhaus? Der Höchstwert von 8,4 Prozent jedenfalls, den die „Alternative für Deutschland“ bei der Bundestagswahl vor vier Jahren im Stimmbezirk 201 im Ostviertel erzielte, nimmt sich angesichts der Landtagswahl-Ergebnisse vom Mai 2017 fast schon dürftig aus.
Damals war die AfD noch Neuling auf dem politischen Parkett und punktete besonders in dem Quartier rund um die Feuerwache an der Eisernen Hand, wo die Missionarinnen der Nächstenliebe genauso zuhause sind wie viele Migranten und die Caritas Flüchtlingshilfe.
Im Mai aber landete diese Ecke beim AfD-Ergebnis irgendwo hinter Platz 40 – und ganz oben stand Stimmbezirk 5003 in Vogelheim, ein Quartier zwischen Vogelheimer und Krablerstraße.
Dort wählten 24,4 Prozent, also nahezu jeder vierte die AfD. Insgesamt kamen sie in 13 Stimmbezirken über 20 Prozent. Die Hochburg entsteht neu im Norden.
In Sichtweite des Rathauses räumen die Linken ab
Der kleine Kiosk an der Gerhard-Stötzel-Straße heißt „Happy-Shop“, aber ganz so glücklich kann man mit dieser Wohnlage eigentlich nicht sein: Stimmbezirk 605 im Südostviertel ist eine dreieckige Wohn-Insel in der verkehrsgerechten Stadt: Hüben die A 40, die drüben die Bahn-Linie kreuzt, und am westlichen Rand noch die tieferliegende Krampestraße. Sie müssen sich hier vorkommen, als hätten die Stadtplaner sie vergessen, obwohl das Rathaus in Sichtweite steht.
Vor vier Jahren haben die Linken hier ihr stadtweit bestes Ergebnis erzielt: 18,4 Prozent.
Das sieht nach Protest aus, obwohl neuerdings im Quartier saniert wird: Gerüste vielerorts, und es geht offenbar nicht nur darum, Fassaden aufzuhübschen. Dennoch: Wer es sich leisten kann, sucht sein Wohnglück wohl woanders.
Die Ergebnisse haben wir auch in unserer Wahlkarte aufgearbeitet