Bei der Domführung tauchen Leser ein in 1000 Jahre Essener Geschichte und erfahren, wie der Kirchenschatz den Weltkrieg überstanden hat.
„Wir können stolz sein auf unsere Stadt, deren Geschichte weitaus mehr zu bieten hat als Krupp, Stahl und Kohle.“ Mit dieser selbstbewussten Aussage beginnt Rainer Teuber, im Bistum für die Domführungen zuständig, die zweistündige Tour und verspricht, dass die Gruppe an Orte gelangt, die sonst für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Und so stehen die interessierten Leser nur kurze Zeit später vor dem Grab der Äbtissin Theophanu, einer Enkelin von Kaiser Otto II (955-983).
Das befindet sich nicht in der Krypta, dem ältesten Teil der Kirche, sondern verborgen im Bistumsgarten hinter dem Dom und wurde mehr durch Zufall 1951 bei Restaurierungsmaßnahmen gefunden.
„Wir glauben, dass die Krypta früher größer war“, erklärt Teuber den ungewöhnlichen Standort. Der Fund war so bedeutend, weil unter den Äbtissinnen Theophanu und Mathilde, eine Enkelin von Otto dem Großen (912-973), das Stift im 10. und 11. Jahrhundert seine Blütezeit erreichte. Die ist noch heute in der Domschatzkammer sichtbar, wo sich einzigartige Kostbarkeiten finden. „Den gesamten Kirchenschatz haben die Damen selbst finanziert“, erklärt Teuber und erzählt, dass sich an keinem einzigen Ort der Welt mehr mittelalterlich sakrale Goldschmiedekunst befindet. „Das allein macht unsere Stadt einzigartig.“
Circa 1000 Jahre alte Goldene Madonna
Der größte Schatz ist seit 1959 für alle Besucher des Doms sichtbar: Die circa 1000 Jahre alte Goldene Madonna ist die weltweit älteste erhaltene vollplastische Darstellung Marias mit dem Kind. Jahrhundertelang wurde sie in der Schatzkammer verwahrt und nur zur jährlichen Prozession gezeigt. „Erst als das Bistum gegründet wurde, hat man sich entschlossen, die Goldene Madonna in den Dom zu holen.“ Seitdem hat sie die Kirche nicht mehr verlassen, wird auch nicht an Museen verliehen. „Sie ist unsere Schutzpatronin“, so Teuber weiter, „Woche für Woche kommen tausende Menschen, um hier ein Gebet zu sprechen.“ Die Zahlen kennt das Bistum so gut, weil wöchentlich 8000 Teelichter vor der Madonna aufgestellt werden.
Wie der Kirchenschatz den Zweiten Weltkrieg überlebt hat, möchte ein Leser wissen. Und erfährt, dass die weitsichtige Denkmalbehörde bereits 1939 die sakralen Kunstgegenstände nach Meißen und später ins Siegerland bringen ließ. „Ansonsten wäre alles verloren gewesen“, spielt Teuber auf das großflächige Bombardement der Alliierten an, dass auch den Dom in weiten Teilen zerstörte. Lediglich die Krypta und der Westbau überstanden die Angriffe fast unversehrt. Der gilt als ein Glanzlicht der romanischen Architektur und wurde um das Jahr 1000 von Äbtissin Mathilde in Auftrag gegeben. Vorbild war die Marienstiftskirche in Aachen, Krönungsort zahlreicher Herrscher. Das sollte die Verbindung des Stifts zur kaiserlichen Familie betonen.
Viel über die jahrhundertealte Geschichte Essens erfahren
„Ich muss sagen, das ist einer der schönsten und idyllischsten Orte in der Stadt“, staunt Annemarie Becker, als die Gruppe wenig später im Kreuzgang steht. „Jahrelang bin ich hier achtlos vorbeigelaufen. Das wird mir jetzt nicht mehr passieren.“
Auch die nächsten Stationen im Dom begeistern die Leser: Ob auf der Äbtissinnenempore, in der Krypta, im Altarraum oder zu guter Letzt in der Domschatzkammer – überall glänzt Rainer Teuber mit seinem profunden Wissen und begeistert die Gruppe. „Dieser Besuch hat sich gelohnt. Ich habe unglaublich viel über die jahrhundertealte Geschichte meiner Heimatstadt erfahren“, lautet das Resümee von Andrea Wolffer-Tiges nach zwei Stunden Domspaziergang.