Essen. In den 20er Jahren gab es drei Anlagen am Rhein-Herne-Kanal. Der Onkel von Hans Hennigfeld war Bademeister unweit der Zweigertbrücke.

Wenn Hans Hennigfeld am Rhein-Herne-Kanal steht, unterhalb der Zweigertbrücke bei Karnap, dann schweifen die Gedanken des 86-Jährigen schon mal zurück. Weit zurück. In eine Zeit, als der Kanal seine zweite Heimat war, Mitte der 20er Jahre. „Hat sich alles ein bisschen verändert“, sagt er dann.

Doch trotz der vielen Jahre ist die Erinnerung an damals lebendig geblieben, an seine Kindheit im Norden der Stadt. Hans Hennigfeld wuchs an der Altenessener Straße auf, seine Eltern betrieben dort ein Obst- und Gemüsegeschäft. Mit dem Pferdefuhrwerk ging es dann los, die Ware ausliefern. Wohin also mit dem Bub, mit seiner Schwester Eleonore, vor allem im Sommer?

Die neue Stelle von Onkel Konrad Horst

Da traf es sich gut, dass Onkel Konrad Horst im Jahre 1925 eine neue Stelle angetreten hatte: Als Bademeister im drei Jahre zuvor frisch eröffneten Karnaper Strandbad am Rhein-Herne-Kanal! Erwachsene zahlten 20, Kinder 10 Pfennig. Dafür gab es bei Tante Lisbeth die Umkleiden, zwei Nichtschwimmer-Becken, eins für Jungs, eins für Mädchen standen bereit. Alles unweit der Zweigert-Brücke.

Bademeister Konrad Horst mit seiner Frau Lisbeth und der kleinen Lore am Kanal.
Bademeister Konrad Horst mit seiner Frau Lisbeth und der kleinen Lore am Kanal.

Über 12 000 Besucher zählte die Anlage im Schnitt, geöffnet jährlich vom 15. Mai bis zum 15. September. Holzstufen führten hinab zum Kanal, der gleichzeitig offene Badezone war. Die nicht einmal zwei Jahrzehnte dauernde Existenz des kleinsten Essener Freibades ist nahezu in Vergessenheit geraten. Zumal Karnap damals noch eine selbstständige Bürgermeisterei war und „die Akten aus den 1920er Jahren nur sehr lückenhaft vorhanden sind“, wie Cordula Holtermann, Archivarin im Haus der Essener Geschichte, nach ihren Recherchen im Stadtarchiv betont.

Zahllose Bilder zeugen von einer reichen Epoche in einer rauhen industriellen Zeit

Anne Bogusch, die heute in Frohnhausen lebt, erinnert sich jedoch noch sehr gut an die Geschichten, die ihre Mutter Eleonore Hennigfeld und ihr Onkel Hans vom Kanal erzählten. Zahllose Bilder ihrer Familie zeugen von einer reichen Epoche in einer rauhen industriellen Zeit, als rund um Karnap die Menschen auf Matthias Stinnes, auf Emil Emscher, auf Zeche Nordstern oder Prosper Haniel einfuhren.

Irmgard und Hans Hennigfeld mit Anne Bogusch vor der Zweigertbrücke.
Irmgard und Hans Hennigfeld mit Anne Bogusch vor der Zweigertbrücke. © Socrates Tassos

Als in Karnap mehr Menschen Arbeit auf’m Pütt fanden, als in dem dörflich geprägten Stadtteil lebten. Kaum einer hatte die Möglichkeit, mit der Tram an den Baldeneysee zu fahren, um die knapp bemessene Freizeit im Süden der Stadt zu genießen. Und wozu auch, der Kanal lag vor der Tür, wen störte da der Kohlenstaub und die schlechte Luft.

Strandbäder im Norden waren gut ausgelastet

So waren die drei Strandbäder im Norden der Stadt, in Karnap, Altenessen und vor allem in Dellwig gut ausgelastet (siehe Info-Box). Selbst die 550 Plätze in Karnap waren bei Sonnenschein schnell voll: „Strandbad mit guter Verkehrsanbindung“, schrieb damals eine Essener Tageszeitung in einem Vergleich der sieben Strandbäder an der Ruhr, am See und am Kanal, allerdings „hin und wieder beeinträchtigt durch die Kanalschifffahrt“.

Hans Hennigfeld hat das nie gestört. Mit drei Jahren brachte ihm Onkel Konrad das Schwimmen im Kanal bei. „Das härtet schon ab“, erzählt der 86-Jährige, der als Jugendlicher für den Verein Altenessen 26 so manchen Sieg holte und sogar Stadtmeister über 50 Meter Kraul wurde – sich vor allem aber als Wasserballer einen Namen machte: „Wir spielten in der höchsten Spielklasse.“

Sportlich ging’s zu im Karnaper Strandbad, wie die Aufnahme dieser strammen Jungs zeigt. So mancher lernte hier das Schwimmen.       
Sportlich ging’s zu im Karnaper Strandbad, wie die Aufnahme dieser strammen Jungs zeigt. So mancher lernte hier das Schwimmen.        © Hennigfeld

Die 26er waren gefürchtet, so mancher Gegner ging in der Alten Badeanstalt, wo die Spiele ausgetragen wurden, sprichwörtlich unter. Trainiert wurde auch im Kanal, bei Wind und Wetter: „Unsere Hände waren manchmal so klamm, dass wir kaum die Tasse Tee zum Aufwärmen halten konnten.“

Aber natürlich war das Strandbad am Rhein-Herne-Kanal schon damals ein Abenteuer-Spielplatz: „Wir sind die Kähne angeschwommen und bis zur Schleuse Duisburg mitgefahren.“ Zurück nach Essen ging es mit dem nächsten Schiff. Manchmal hatten die Schiffer ihre Kähne mit Teer eingeschmiert, „doch das konnte uns nicht stoppen“, erzählt Hans Hennigfeld, „wir haben von zu Hause Margarine mitgenommen, damit ging der Teer prima ab“. Und natürlich war auch das verbotene Springen von den Kanal-Brücken schon damals angesagt: „Das war unser Sprungturm.“

Als in den 30er Jahren die Dämme zwischen Kanal und Emscher gebaut wurden, war für das Strandbad kein Platz mehr, die Anlage aus Holz musste weichen. Ob heute ein Strandbad im Norden fehlt? Hans Hennigfeld schüttelt den Kopf: „Der Kanal ist doch immer noch ein einziges großes Strandbad.“

Im Dellwiger Bad gab es weißen Rheinsand

Das Strandbad Dellwig am Rhein-Herne-Kanal galt bei seiner Eröffnung 1928 als kleine Sensation: Große Flächen der Anlage waren mit weißem Rheinsand, die „Promenadenstraße“ und die Zuschauerstufen mit roter Zinkasche bedeckt. Mit der Zeit färbte der allgegenwärtige Kohlenstaub im Norden der Stadt den weißen Sand grau – und auch die Zinkasche wurde bald wieder abgetragen, weil sie, wie ein Chronist damals berichtete, bei heißem Wetter unerträglich staubte. Die Schwimmbecken im Freibad Dellwig waren durch zwei kleine Schleusentore mit dem Kanal verbunden, um den Wasserwechsel zu erleichtern.

Das Freibad Hesse auf einem historischen Bild von 1928
Das Freibad Hesse auf einem historischen Bild von 1928 © ruwa dellwig

Das erwies sich bald als wenig sinnvoll, denn auf den Sandböden der Sprung- und Schwimmbecken bildeten sich Wasserpflanzen, Algen- und Schlinggewächse, die schon bald bis zur Oberfläche reichten. Es erinnert ein wenig an die heutigen Probleme des Baldeneysees mit der „Wasserpest“. Der Schwimmmeister behalf sich notdürftig damit, indem er die Wasserpflanzen abmähte und im Nichtschwimmerbecken den betonierten Boden mit einer Stahlbürste abscheuerte. Allein es half nicht.

Der Stadt blieb nichts anderes übrig: Sie ließ eine Pumpanlage installieren, die die Becken leerte, dazu wurden alle Böden betoniert und vor jeder Saison mit Chlorkalk ausgewaschen. Immerhin tat dies der Begeisterung der Essener für das Sommerbad keinen Abbruch: 1929 zählte man 77 861 Besucher, Dellwig galt als zweitbeliebtestes Bad in Essen, mit gepflegter Anlage und dem technisch besten Sprungturm.

Sommerbad an der Schurenbachhalde

Über ein Schwimmbad am Kanal in Höhe der heutigen Schurenbachhalde finden sich im Essener Stadtarchiv kaum Hinweise. Es gab allerdings bis etwa 1930 tatsächlich ein Sommerbad am Rhein-Herne-Kanal auf Altenessener Seite, dies belegen auch Luftbilder aus der Zeit.

Luftbild vom Sommerbad aus den 20er-Jahren.
Luftbild vom Sommerbad aus den 20er-Jahren.

Das Bad-Gelände mit den Umkleiden sackte als Folge starker Bergschäden allerdings so stark ab, dass es vom Kanal überflutet wurde. Die Anlage konnte nicht erhalten werden, wurde später laut „Volkswacht“-Ausgabe vom 28. Juni 1930 zugeschüttet.

Rhein-Herne Kanal ist die Badewanne des Reviers

Nachdem die Stadt am Baldeneysee ein neues Strandbad eröffnet hat, stellt sich die Frage, ob ein „Kanalbad“ überhaupt ein Thema wäre. Sicher ist: An den Ufern herrscht bei sommerlichen Temperaturen ein Treiben, von dem Freibäder nur träumen können. „Für uns ist das die größte Badewanne des Reviers“, heißt es beim Wasser- und Schifffahrtsamt in Duisburg. Doch die Stadt wiegelt ab: „Wir haben definitiv nicht die Absicht, am Rhein-Herne-Kanal, in welcher Form auch immer, ein Strandbad zu errichten“, teilt die Stadt auf Anfrage mit.

Gäbe es dazu aus der Politik einen Auftrag, müsste die Verwaltung dann eben prüfen, aber vorsorglich verweist man darauf, „dass wir am Baldeneysee noch in der Erprobungsphase sind“. Großen Wert werde dabei vor allem auf die Wasserqualität gelegt, die aktuellen EU-Normen entsprechen müsse: „Der Kanal ist aber eine Industrie-Wasserstraße, das wäre noch weitaus problematischer zu sehen als am See.“

Immer noch ein beliebter Spaß: Der Kollektive Sprung in den Rhein-Herne-Kanal.
Immer noch ein beliebter Spaß: Der Kollektive Sprung in den Rhein-Herne-Kanal. © Sebastian Konopka

Kanalwasser hat die Qualität von Lippe und Ruhr

Das sieht man beim Schifffahrtsamt etwas gelassener: „Das Kanalwasser kommt aus Ruhr und Lippe, deren Qualität sich deutlich verbessert hat.“ Laut Binnenschifferstraßenordnung ist das Baden im Kanal abseits von Schleusen, Häfen und Brücken sogar erlaubt – wäre da nicht die „Ordnungsbehördliche Verordnung der Stadt Essen“, die das Baden in frei zugänglichen Gewässern wie dem Kanal verbietet. Verstöße können mit einem Bußgeld geahndet werden, heißt es bei der Stadt, die aber gleich hinterher schiebt: „Wir haben wirklich Wichtigeres zu tun.“