Essen-Heisingen. . Bis in die 1970er Jahre verkaufte Familie König Brot und Mehl an der Bahnhofstraße, nun wird dort wahrscheinlich ein Mehrfamilienhaus entstehen.
Der Wandel Heisingens hat bereits nach dem Krieg begonnen, als die Bauern ihr Land verkauften, damit der dringend benötigte Wohnraum geschaffen werden konnte, sagen Ilse Cram (86) und Margret Oldenburg (82), die sich seit vielen Jahren mit der Historie des Stadtteils befassen. In jüngster Vergangenheit seien aber in relativ kurzer Zeit zahlreiche Bauten verschwunden, die mitunter das Gesicht des Dorfes prägten, bedauern sie und fürchten, mit dem blauen Haus mitten im Ortskern könnte nun ein weiteres Gebäude folgen. Denn an der Bahnhofstraße 24, wo einst Familie König Brot für die Heisinger gebacken hat, sind Farbe und Dämmung bereits entfernt worden.
Was selbst viele Heisinger wohl nicht wissen: Das Gebäude von 1892 wurde einst als Fachwerkhaus erbaut. Daran aber erinnert sich selbst Christiane Grindel (55) kaum noch, deren Urgroßeltern, Großeltern und auch Eltern dort gelebt und gearbeitet haben – wie die Steuerberaterin selbst bis zuletzt auch. Sie war es dann, die ihr Zuhause vor etwa zehn Jahren himmelblau streichen ließ. Das Fachwerk war da schon lange vorher unter Putz verschwunden, sagt die 55-Jährige, für die das Haus voller schöner Kindheitserinnerungen und Idylle steckt. Kam doch die Familie samt Onkel und Großtanten an diesem Ort zusammen.
Als nun aber Christiane Grindel vor der Frage „Investieren oder Verkaufen“ stand, entschied sie sich schließlich für Letzteres. Das Haus mit seinen 245 Quadratmetern sei für sie ohnehin zu groß gewesen, so dass das Erdgeschoss als Gewerbefläche vermietet war. Nun steht alles leer.
Das Archiv füllt ein ganzes Zimmer
Für Ilse Cram ist das Anlass genug, Bücher und Bilder hervorzuholen, um
die Geschichte des Hauses und der Menschen darin zu erzählen, bevor auch dieses dem Erdboden gleich gemacht werde, sagt sie. Die 86-Jährige selbst lebt seit 1969 im Stadtteil und sagt: „Manchmal muss man Zugezogener sein, um die Schönheit Heisingens zu erkennen.“ Ilse Cram gehört wie Margret Oldenburg (seit 1978 Heisingerin) zum Museumskreis. Beide Frauen kümmern sich seit Jahrzehnten um die Dorfgeschichte. Ein Teil des Archives, das wie das Bergbau- und Heimatmuseum im Paulushof beheimatet ist, füllt nun bei Ilse Cram zu Hause zahlreiche Regale und beinahe ein ganzes Zimmer.
Die Heisingerinnen haben viel Zeit im Düsseldorfer Staatsarchiv verbracht und bereits so machen Artikel in Büchern über Heisingen verfasst. Entstanden ist auch ein ganzes Werk über den Stadtteil im Jahr 1803 – zur Zeit der Säkularisation. Aktuell jedoch liegt ihnen das ehemals „himmelblaue Häusken“ am Herzen, wie sie es nennen.
Gebaut aus Teilen einer Scheune
Gebaut hat es die Familie König selbst, die schon lange vorher ein Geschäft für Brot und einen Mehlhandel auf dem gegenüber liegenden Spickerhof geführt hat, berichten die beiden. Als aber der Besitzer des Hofes wechselte und der Familie kündigte, zog diese samt Betrieb auf die andere Straßenseite. Denn Bäcker König hatte Glück und erhielt dort einen Teil des Grundstückes, das wiederum zum Hickingshof zählte.
„Heute steht dort eines der neuen Mehrfamilienhäuser“, sagt Ilse Cram. Auf dem vorderen Teil befand sich 1892 lediglich eine alte Scheune. Aus deren Bestandteilen wie Steinen, Dachziegeln und vielen Eichenbalken errichtete man damals das neue Fachwerkhaus der Familie König. „Das Gefache wurde nicht wie bei Bauernhäusern üblich mit Reisig ausgefüllt und mit Lehm beworfen, sondern mit Schwemmsteinen ausgemauert“, haben die beiden Frauen ein Detail aus der Bauphase notiert. Sie haben ihre Informationen zur Familie König aus einem Brief entnommen, den ein Onkel Hubert (Sohn des Bäckers) 1956 aus Aachen schrieb. Eine Kopie wurde dem Bergbau- und Heimatmuseum in Heisingen überlassen. Ilse Cram und Margret Oldenburg haben das handschriftliche Dokument mühsam transkribiert.
Königs verkauften ihre Waren wenige Pfennige billiger
Darin steht, dass sich im Neubau das Geschäft entwickelte und sich sogar gegen die Konkurrenz der entstehenden Brotfabriken durchsetzte, da die Königs ihre Ware um wenige Pfennige billiger verkauften. Zudem kauften Bergleute, die Schweine und Kleinvieh zu ihrem Lebensunterhalt hielten, das benötigte Gerstenmehl an der Bahnhofstraße. Ein weiteres Standbein schuf der Bäcker, indem er seine Waren auslieferte. Dazu schaffte er später Pferd und Wagen an.
„Durch die sparsame Lebensweise erzielte die Familie eine gewissen Wohlstand und war allgemein geachtet“, berichten die Stadtteil-Historikerinnen, die dieses Andenken in ihrem Archiv bewahren, da die Bäckerei König nicht mehr existiert. Diese bestand bis in die 1970er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
Knapp 50 Jahre später wird nun ihre Wohn- und Arbeitsstätte abgerissen,
bestätigt der Käufer die Vermutung von Ilse Cram und Margret Oldenburg. Entstehen wird wohl ein weiteres Mehrfamilienhaus, mehr möchte er zu den Plänen für die Bahnhofstraße 24 zurzeit nicht sagen. Der Wandel aber an dieser Stelle in Heisingens Dorfmitte könnte noch größer ausfallen: Denn gleich gegenüber wurde ein weiteres Grundstück verkauft. Dort steht schon lange die Gaststätte Bürgerkrug leer.