Essen. . Der sperrige Stoff des Dramatikers wurde für die Bühne reduziert. Er bleibt im Kontext der NS-Zeit. Ein Gespräch mit dem Rüttenscheider Ensemble.

In einer Bahnhofsgaststätte lässt es sich trefflich philosophieren. Über das Leben im Allgemeinen, die eigene Situation im Besonderen. „Das Bier ist kein Bier, was dadurch ausglichen wird, dass die Zigarren keine Zigarren sind. Aber der Pass muss ein Pass sein.“ Sagt der Mann mit dem eleganten Hut.

Sein Gegenüber, unverkennbar ein Vertreter der Arbeiterklasse, nickt und ergänzt: „Der edelste Teil des Menschen.“ Anerkennung erfahre nur jener, der einen Pass, sofern dieser gut sei, habe. Ein Mensch könne noch so gut sein – und doch nicht anerkannt werden.

Arbeiter Kalle und Physiker Ziffel im Dialog

So beginnen die „Flüchtlingsgespräche“ von Bertolt Brecht. Kein Stück, eher ein Fragment, das in 18 Abschnitten die Dialoge zwischen dem Arbeiter Kalle und dem Physiker Ziffel verzeichnet. Auf der Bühne ein nicht unbedingt leicht verdaulicher Stoff – kein Hindernis für das Theater Courage.

„Ich habe genommen, was mir an den Dialogen am gefälligsten erschien“, erläutert Gabi Dauenhauer, die künstlerische Leiterin des Rüttenscheider Ensembles, das eher für schräge Komödien und pointierte Adaptionen leichterer Unterhaltung bekannt ist. Mit den ernsten Themen Unterdrückung und Vertreibung in der Nazizeit knüpft das Theater an seine Anfänge in den späten 80er-Jahren an, als Gesellschaftkritisches häufiger auf der Bühne aufgriffen wurde.

Das Thema Flüchtlinge ist aktueller denn je

„Das Thema Flüchtlinge liegt halt auf der Hand, die Menschen sind entwurzelt, fühlen sich verloren“, sagt Gabi Dauenhauer und zieht Parallelen: Brechts 1940 verfasstes Werk enthalte neben persönlichen Erfahrungen eben viel Allgemeingültiges und funktioniere durchaus als Kommentar zur Gegenwart – ohne krampfhaft auf modern umgestrickt werden zu müssen.

Die Bühnendeko ist deshalb zeitgenössisch – und sparsam. Eine Sitzbank, ein Tisch, Stühle, ein Volksempfänger. Aus dem kommen knarzend Neuigkeiten von der Front, die Ziffel (Arnd Federspiel) und Kalle (Michael Hoch) in ihren Gesprächen aufgreifen.

Zwiegespräche mit sich selbst

„Wobei meine Figur nicht der stereotype Arbeiter ohne Bildung ist, sondern ziemlich helle“, findet Michael Hoch. Brechts Dialoge seien eher Zwiegespräche mit sich selbst, verschiedene Positionen vertretend – und übrigens gelegentlich auch witzig. Federspiel: „Zentral geht es darum, dass einem das Vaterland keine Wahl lässt als die Flucht, wenn man seine Familie vor dem Krieg retten will.“ Schlussendlich sind die Positionen der Protagonisten nicht so weit voneinander entfernt wie ihre gesellschaftliche Stellungen vermuten lassen.

Regisseurin Gabi Dauenhauer selbst taucht in dem 70-Minüter (gespielt wird ohne Pause) als Kellnerin, Bettlerin, Prostituierte und Soldat auf – und sie singt u.a. Lieder aus der „Dreigroschenoper“. Ein Brecht-Abend, der also gar nicht so kopflastig daherkommt.

>> Die Premiere ist am 23. Juni

Die „Flüchtlingsgespräche“ stehen am 23. und 30. Juni sowie am 7. und 14. Juli (jeweils 20.30 Uhr) auf dem Programm im Theater Courage, Goethestraße 67, in Essen-Rüttenscheid. Kartenreservierung unter Tel. 0201791466 oder online theatercourage@t-online.de.

Das Stück ist Teil eines dreijährigen Theater-Projektes über Außenseiter und Verfolgte, das von der Stadt Essen gefördert wird. Als nächstes soll es um Sophie Scholl gehen.