Essen. . Jürgen Bosse begeisterte als Schauspielintendant von 1992 bis 2005 das Publikum. Heute ist Essen sein Altersruhesitz und er Gast im Grillo.
Links oberhalb der Zuschauerreihen saß er stets bei den Premieren und hatte nicht nur die Bühne im Blick. „Das Schönste ist doch, dass das Haus voll ist“, sagte Jürgen Bosse 2005 zum Abschied. 13 Jahre war er Schauspielintendant in Essen und gab nicht gern Interviews. Er, der Bodenständige, Besonnene, Zurückhaltende, wollte, wenn überhaupt, für seine Regiearbeit beachtet werden. Zum 125. Geburtstag des Grillo-Theaters macht der gebürtige Niedersachse eine Ausnahme und erinnert sich an seine skandalfreie Ära.
Essen? „Das ist genau das Richtige für dich“
Auf Rat von Claus Leininger, einst hiesiger Oberspielleiter, landete er vor 25 Jahren in der uneitlen Ruhrstadt. „Das ist genau das Richtige für dich“, hatte der empfohlen, und wie mit Mannheim recht behalten. „Es waren meine zwei wichtigsten Intendanzen. Großtheater wie das in Stuttgart waren nicht meine Sache“, so Bosse, der nach der Feier zum 100-jährigen Bestehen des Grillo-Theaters und einer Saison voller Gastspiele durchstartete.
Kontinuierlicher Erfolg, wohlbedachtes Repertoire
Jenseits von Moden führte er das Haus aus einer Publikumsmisere zu kontinuierlichem Erfolg mit wohlbedachtem Repertoire, Erst- und Uraufführungen. Bei der Auswahl kam es ihm auf Qualität, aktuelle Themen und große Theatralik an. Mit „Angels in America“, „Manni Ramm“ oder „Belgrader Trilogie“ sowie der intelligent gemachten Leichtigkeit einer Yasmina Reza („Kunst“) erregte er Aufmerksamkeit. Er vertiefte sich aber auch in Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“, Schillers „Kabale und Liebe“ oder Shakespeares „Was ihr wollt“. Er war ein hingebungsvoller Theatermacher. Ob die überregionale Presse anreiste oder nicht, kümmerte ihn kaum. „Das Publikum ist mitgezogen“, berichtet er. Das interessierte ihn.
„Die Mannschaft ist das Entscheidende“
Und natürlich sein Ensemble, seine Mitarbeiter. „Die Mannschaft ist das Entscheidende. Sie hat das Haus mit Leidenschaft betrieben. Das hat zur guten Stimmung geführt und zu guten Aufführungen“, weiß Bosse. Seine Stellvertreterin, Chefdramaturgin Susanne Abbrederis, hielt ihm als „große Organisatorin“ den Rücken frei und empfahl ihm Stücke. Drei bis fünf Inszenierungen pro Spielzeit übernahm er selbst. Das technische Team nennt er „ein Geschenk“, die Schauspieler „eine gute Truppe“.
Bekannte Schauspieler-Namen
Michael Schütz, Thomas Goritzki, Siegfried Gressl, Matthias Kniesbeck, Bertold Toetzke, Tatjana Clasing oder Ute Zehlen blieben von den 202 Schauspielern über die Jahre unvergessen. Wer solche Darsteller hat, braucht keine Regiemätzchen: „Das musst du aus den Schauspielern rausholen“, meint Jürgen Bosse, der eine Regie des Verschwindens bevorzugte, jedoch als Prinzipal präsent war. „Ich habe dafür gesorgt, dass es gerecht zuging, ohne alle gleichzubehandeln. Es kann nur einer den Hamlet spielen“, lautet seine klare Haltung. Trotzdem schwärmten alle von der familiären Atmosphäre am Haus.
„Es gab nicht nur eitel Sonnenschein“, bemerkt Jürgen Bosse. Als sich die schon zu Anfang schwierige finanzielle Situation verschlechterte, gar von Fusion mit Oberhausen die Rede war, „wollte ich den Vertrag nicht verlängern.“ Die Politik kam wieder auf ihn zu, er hatte eine Bedingung: „Ich wollte bei den Aufsichtsratssitzungen der Theater und Philharmonie dabei sein, um die Vorgänge zu durchschauen.“ So war es fortan. Nach 7043 Vorstellungen mit 1,2 Millionen Zuschauern war Schluss.
Essen ist sein Altersruhesitz
Eine Dekade später wählte er Essen als Altersruhesitz, „weil ich hier Leute kenne und schöne Erinnerungen haben kann“. Den 77-Jährigen drängt es nicht mehr ans Regiepult. Nach fast 50 Berufsjahren hat er den Motor heruntergefahren. Er besucht Freunde, Familie, Weggefährten, die überall verstreut leben. Er liest Zeitung. Und er geht ins Grillo-Theater. Das technische Personal klopft ihm im Vorübergehen auf die Schulter. Dann mischt er sich bei den Premieren unter die Zuschauer. „Ich beobachte, ob das Haus voll ist“, sagt er und lobt den derzeitigen Hausherrn: „Der Tombeil macht das gut.“