Essen. . Sieben Paare sprechen für sieben Termine vor und stellen fest, was gar nicht sein darf: Einer ist vergeben – an jemanden mit prominentem Namen.
- Sieben Paare wollen im Standesamt am Gildehof-Center Aufgebot bestellen. Sieben Termine zu vergeben
- Stundenlange Wartezeit. Ein Paar soll erst leer ausgehen, weil ein Termin schon vergeben ist
- An Sohn von Ex-OB. Standesamt kann nicht nachvollziehen, wann er vorgesprochen hat
Es soll der schönste Tag im Leben werden, und viele Essener Paare zieht es dafür ins Schloss Borbeck. Im malerischen Wasserschloss sind Trauungen vor allem in der schönen Jahreszeit sehr beliebt und deshalb auch knapp. Sieben Mal öffnet sich an Samstagen dort zwischen 9 und 12 Uhr die Tür zum Trauzimmer. Wer sicher gehen will, einen der heiß begehrten Termine zu erhaschen, ist gut beraten, frühzeitig im Standesamt im Gildehof-Center vorstellig zu werden. Denn wer zuerst kommt, mahlt zuerst, lautet die Regel.
Aber offenbar nicht für jeden, wie sieben Hochzeitspaare berichten. Ihr Eindruck: Im Standesamt gibt es für besondere Kunden einen Promi-Bonus, in diesem Fall für einen Sohn von Alt-OB Reinhard Paß.
Doch der Reihe nach. Als Denise Hinrichsen und ihr Freund Marcel Baeker am Donnerstag, 16. März, im Standesamt ankommen, sind sie nicht die ersten. Sechs Paare sind schon da. Es ist 9.50 Uhr. Das erste Paar wartet seit sieben Uhr früh. Alle wollen in genau sechs Monaten heiraten. Es ist der frühest mögliche Tag, an dem sie das Aufgebot bestellen können – wenn sie persönlich vorstellig werden, und nur dann!
Termin-Reservierungen sind nicht möglich
Reservierungen sind nach Auskunft des Standesamtes nicht möglich, weder online, noch schriftlich und auch nicht telefonisch. Ein Verfahren, das etwas vorsintflutlich klingt, doch um den schönsten Tag im Leben möglichst perfekt zu haben, steht man notgedrungen dann eben mal früher auf.
Da Donnerstagvormittag im Haus Trauungen stattfinden, werden an dem Tag Termine erst ab 14 Uhr vergeben. Erst dann lässt sich eine Wartenummer ziehen. Die Wartenden kommen ins Gespräch, finden sich sympathisch und werden sich schnell einig, in welcher Reihenfolge sie sich am gemeinsamen Hochzeitstag das Ja-Wort geben wollen.
Im Laufe des Vormittags wird es voll im Warteraum. Eisern verteidigen sie ihre Plätze vor dem Kasten mit den Wartenummern – und wie sie selbst sagen, erfolgreich. Niemand mogelt sich unfair vor.
Bei den ersten beiden Paaren läuft dann auch alles glatt, sie erhalten den gewünschten Termin zur gewünschten Uhrzeit. Das dritte Paar muss jedoch erfahren, dass die Wunschzeit, 11.30 Uhr, schon vergeben sei. Die beiden wundern sich und weichen auf elf Uhr aus. Irgendwas scheint da nicht zu stimmen.
Als das siebte Paar, Denise Hinrichsen und Marcel Baeker aufgerufen werden, lässt der Standesbeamte die Katze aus dem Sack. Es tue ihm leid, aber es gebe keinen freien Termin mehr. Das Paar reagiert geschockt. Wie kann das sein? Es gab keinen, der sich an diesem Tag vor ihnen in die Schlange eingereiht hatte – außer denen, die man ja mittlerweile kannte. Dem Standesbeamten sei die Sache peinlich gewesen. Er könne da nichts machen, Anordnung von oben; das seien in etwa seine Worte gewesen. Denise Hinrichsen beschwert sich beim Abteilungsleiter. „Ich war total wütend und habe gesagt, ohne Termin gehe ich hier nicht weg.“
Nach zehn Minuten wird das Paar noch einmal hineingerufen. Der Standesbeamte bietet den beiden doch noch einen Termin am gewünschten Tag an, um 8.30 Uhr. Einen Termin, den es eigentlich gar nicht geben dürfte. Getraut wird üblicherweise erst ab 9 Uhr. Hatte da jemand im Amt ein schlechtes Gewissen bekommen? Denise Hinrichsen und ihr Freund hinterfragen das zunächst nicht weiter und sagen zu, weil sie nicht leer ausgehen wollen. In diesem Moment überwiegt die Erleichterung. Verflogen ist der Ärger aber nicht.
Die Paare erfahren zufällig, wer der Unbekannte ist
Um wen es sich bei dem ominösen Unbekannten handelt, der am selben Tag im Wasserschloss getraut wird, erfahren die sieben Paare durch Zufall. Als sich ein Pärchen aus ihrem Kreis in der Gastronomie von Schloss Borbeck telefonisch danach erkundigt, ob am Hochzeitstag noch ein Tisch frei wäre, winkt ein Mitarbeiter ab: Da sei nichts zu machen – und erklärt redselig warum: „An diesem Tag heiratet der Sohn von Herrn Paß, dem ehemaligen Oberbürgermeister.“ So gibt die Anruferin den Wortlaut wieder.
Im Schloss Borbeck ist man offensichtlich stolz auf die prominenten Gäste. Denise Hinrichsen und die anderen aus der Gruppe sind empört. Sie hatten über Stunden im Standesamt warten müssen, um den Wunschtermin zu bekommen. Die meisten von ihnen hatten dafür einen Tag Urlaub genommen. „Es ist eine Frechheit, dass jemand eine Extrawurst bekommt, nur weil er den richtigen Namen hat“, echauffiert sich Denise Hinrichsen.
Hat das Standesamt Paß Junior tatsächlich einen Termin gegeben, für den er nicht anstehen musste? Hat vielleicht sogar Alt-OB Reinhard Paß persönlich seine alten Kontakte spielen lassen? Auf eine Anfrage antwortet Paß kurz und knapp: Sein Sohn sei ebenfalls am frühest möglichen Termin beim Standesamt gewesen und habe dort das Aufgebot „im üblichen Verfahren“ bestellt. Mehr könne er dazu nicht sagen, lässt Paß wissen. Das gelte auch für seinen Sohn.
Doch wann genau war Paß Junior an jenem Tag vorstellig geworden? Und wie konnte er einen der begehrten Termine zur besten Uhrzeit bekommen, obwohl er nicht unter den ersten sieben Paaren war, was diese allesamt beschwören würden?
Der zuständige Abteilungsleiter im Standesamt erinnert sich an „organisatorische Probleme“. Und daran, dass „eine faire Lösung“ gefunden worden sei. Auf die Frage, ob für den Sohn von Ex-OB Paß vorab ein Termin geblockt worden sei, verweist er auf seinen Vorgesetzten, den Leiter des Einwohneramtes, Andre Seibert, der Paß gut kennt. Bis 2015 war er Mitarbeiter im Büro des damaligen Oberbürgermeisters.
Am Telefon ist Seibert kurz angebunden. Sein Mitarbeiter habe bereits alles gesagt. Dem gebe es nichts hinzuzufügen. Auf Nachfrage erklärt Seibert, nach den ihm vorliegenden Informationen habe Paß Junior persönlich im Standesamt vorgesprochen, sechs Monate vor dem gewünschten Hochzeitstermin, also an jenem Donnerstag, wo aber die Sieben niemanden dazwischen ließen. Unregelmäßigkeiten könne er nicht erkennen, sagt Seibert noch. Er mische sich als Amtsleiter auch nicht in die Terminvergabe ein.
Schriftlich teilt das Presseamt der Stadt schließlich Folgendes mit „Nachdem im Laufe der Öffnungszeit deutlich wurde, dass es ein Bewerberpaar mehr gab als Termine, hat das Standesamt kurzfristig entschieden, einen weiteren Termin zu vergeben.“ Eine salomonische Auskunft. Leider entkräftet sie nicht den Verdacht, dass ein Hochzeitspaar an diesem Tag gleicher war als alle anderen. Eher im Gegenteil.