Essen. Der Gewinner der „Stück auf“Autorentage „Umständliche Rettung“ von Martina Clavadetscher feiert in der Casa des Schauspiel Essen Uraufführung.
Eine zornige Hure, eine verkopft naive Mikrobiologin, ein zwielichtiger Mann mit multiplen Erwerbstätigkeiten: Während die beiden letzteren sich fortwährend begegnen, entwickelt erstere eine metaphysische Verschwörungstheorie, die alle drei schließlich vor den Untersuchungsrichter bringt.
Aus dieser Situation heraus erzählt Martina Clavadetscher in „Umständliche Rettung“, das am Freitag in der Casa des Schauspiel Essen seine Uraufführung feierte, die Geschichte in Rückblenden: Ein feinsinniges Gespinst aus Andeutungen und Assoziationen entspannt sich, mit zahlreichen Verweisen auf die biblischen Städte Sodom und Gomorra. Die Parallelen zum rechtschaffenen Lot und seinem aus heutiger Sicht fragwürdig erscheinenden Umgang mit seinen Töchtern sind unübersehbar, auch wenn es am Ende nicht sein Weib ist, das zur Salzsäule erstarrt.
Stimmige Metapher
Die Nachbildung unregelmäßig gestufter Steinterrassen (Bühne und Kostüme: Martina Stoina) gibt unter den Füßen der Darsteller nach, was zunächst ein wenig irritiert – am meisten gewiss die Darsteller selbst, die sich davon jedoch nichts anmerken lassen. Letztendlich erweist sich gerade dieser ungewollte Effekt als durchaus stimmige Metapher für den Schauplatz der Handlung, jene fiktive Stadt Sodirya, die in Unrat und Unmoral zu versinken droht.
Zugleich verschwimmen die Grenzen zwischen den Handlungsebenen und Perspektiven, die Akteure werden teilweise zu Erzählern, die wiederum erzählend in den gespielten Handlungsverlauf eingreifen - jede Figur beharrt auf ihrer eigenen Realität. Dadurch, dass sich die Gewinnerin der letztjährigen Autorentage „Stück auf“ nicht auf eine Wahrheit festlegt, erhält die Geschichte eine eigenwillig ironische, ja schwebende Qualität. Spätestens als Silvia Weißkopf in der Rolle der jungen Wissenschaftlerin in einem herabhängenden Tuch, das ihr zunächst schlicht als Zelt dient, mit einer schlangenhaft eleganten Rückwärtsrolle zu einer engelsgleichen Erscheinung mutiert, die nun ihrerseits bäuchlings über der Bühne schwebt, möchte auch die Rezensentin glauben, dass sie eine himmlische Botin ist – und nicht nur eine halluzinierende Biologin bzw. eine begabte Schauspielerin mit akrobatischen Fähigkeiten.
Subtiler Humor und Kalauer
Der subtile Humor der Sprache inspiriert Regisseur Thomas Ladwig offenbar zu einigen handfesteren Kalauern. Als die Sexarbeiterin Baganja, mit druckvollem Ungestüm verkörpert von Jaëla Carlina Probst, versucht, den Untersuchungsrichter durch eine Maßnahme aus ihrem Dienstleistungsportfolio von ihrer Wahrheit zu überzeugen, drohte die Aufführung kurz zu kippen, hätte nicht Jens Winterstein mit virtuos reduziertem Mienenspiel den Absturz in den Klamauk verhindert.
Auch der tragikomisch angelegte El-Arad darf ungeachtet seines sozialen und moralischen Abstiegs dank Jahn Pröhls sensibler Darstellung seine Würde bewahren. Letztendlich rettet er sich am Ende selbst, indem er das „letzte Gramm Gold“ in sich wiederfindet.
Eine nachdenkliche Parabel über Schuld und Gerechtigkeit, Angst und Hoffnung, die tief berührt und lange nachwirkt.
Termine für den Autorentage-Sieger
„Umständliche Rettung“ ist am 6., 21. und 26. Mai, 1., 10., und 25. Juni sowie am 8. Juli in der Casa, zu sehen. Karten: Telefon: 0201-81 22-200. Martina Clavadetscher ist die vierte Gewinnerin der Autorentage „Stück auf“, des Schauspiel Essen.