Essen. . Vor 150 Jahren wurde auch in Essen ein Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein gegründet – die Geburtsstunde der SPD. Wie die Partei daran erinnert.
- 1867 wurde in einem Lokal an der Kastanienallee ein Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein gegründet
- Geburtsstunde der heutigen SPD gibt er Partei Anlass zu feiern. Bürgerfest, Radtouren, Diskussionen
- Parteichef Thomas Kutschaty findet im Rückblick nachdenkliche Worte. Stolpersteine für NS-Opfer
„Es lebe die Freiheit und mit ihr das Recht.“ So steht es auf dem strahlend roten Tuch zu lesen, das Essens SPD-Vorsitzender Thomas Kutschaty und Maria Tepperis, eine seiner Stellvertreterinnen in den Händen halten.
Es ist eine historische Fahne der Essener Sozialdemokraten. Nicht das Original, das ein Stoppenberger Genosse einst vor den Nationalsozialisten verbarg. Das kostbare Stück hängt hinter Glas im Stadtarchiv am Ernst-Schmidt-Platz. Weil der Stoff doch arg gelitten hat mit den Jahren, haben sie eine Kopie anfertigen lassen. Und so ist der Moment, als die beiden das rote Banner ihrer Partei fürs Pressefoto in die Kamera halten, eine Zeitreise zurück in die Vergangenheit.
Anfänge der jungen Arbeiterpartei waren nicht leicht
150 Jahre SPD in Essen. Das gilt es für die Sozialdemokratie in diesem Jahr zu feiern. Mit offiziellem Festakt in der Volkshochschule, einem Bürgerfest auf dem Burgplatz und vielem mehr. Auch wenn die Freude überwiegt, sind es nachdenkliche Worte, die Parteichef Kutschaty im Rückblick anstimmt.
Alles fing 1867 mit eine Annonce an, die der Apotheker Heinrich Vogel in der „Essener Zeitung“ aufgegeben hatte: „Die hiesigen Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins feiern mit ihren Familien am 23. Juni das Stiftungsfest des Vereins im Lokal des Herrn Müller in der Kastanienallee durch Gesang, freie Vorträge und Konzert“, stand dort zu lesen. Bei allem Ernst schien Politik auch eine gesellige Angelegenheit gewesen zu sein. Die Versammlung sollte die Geburtsstunde der heutigen Essener SPD sein. Vier Jahre nachdem ein gewisser Ferdinand Lassalle den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein mit Gleichgesinnten gegründet hatte.
Noch im Gründungsjahr des Essener Ablegers kandidierte Wilhelm Hasenclever für den Reichstag und unterlag in der Stichwahl mit 27,1 Prozent dem konservativen Kandidaten, weil zum Essener Wahlkreis auch umliegende Landgemeinden zählten. „Sonst hätte er gewonnen“, sagt Kutschaty.
Die Anfänge waren nicht leicht für die junge Arbeiterpartei. Mehr als 30 Jahre sollten vergehen, bis 1908 erstmals einer der ihren in die Essener Stadtverordnetenversammlung gewählt wurde. Die Partei hat die Monarchie erlebt und die Weimarer Republik, sieht die dunkle Zeit des Nationalsozialismus und wurde in der Bundesrepublik zur Volkspartei. „Wir können sehr stolz auf die Geschichte der Sozialdemokratie in Essen sein. Auch wenn wir nicht immer alles richtig gemacht haben“, sagt Thomas Kutschaty, er selbst, soweit bekannt, der 22. Vorsitzende nach besagtem Heinrich Vogel, dem Apotheker von der Limbecker Straße.
Die Chronik ist allerdings lückenhaft. Die Geschichte aufzuarbeiten, hat die Arbeitsgruppe um Maria Tepperis einige Mühe gekostet. Das Archiv Ernst Schmidt hat geholfen, der Nachlass von Gustav Streich, der mithalf, die Partei nach dem Krieg wieder aufzurichten und die Friedrich-Ebert-Stiftung, deren Bestand über Essens Sozialdemokratie 55 Meter misst, wie Maria Tepperis zu berichten weiß.
Stolpersteine zum Gedenken an Opfer des NS-Terrors
Auf dem Tisch in der Parteizentrale in der Severinstraße liegen Fotos vergangener Tage, die meisten in Schwarz-weiß: Johannes Rau, der Landesvater, beim Skatspiel mit Essener Genossen. SPD-Chef Hans-Jochen Vogel und Oberbürgermeister Peter Reuschenbach mit kohlegeschwärzten Gesichtern nach einer Grubenfahrt, Parteitage in der Grugahalle, Wahlkämpfe und Maifeiern. . .
Es sind Bilder aus erfolgreichen Zeiten der SPD, als es in der Stadt und im Land über Jahrzehnte an ihr kein Vorbei gab. Als die Zahl der Mitglieder in Essen im Jahr 1976 auf nie mehr erreichte 12 369 Köpfe stieg. Heute sind es nicht mal mehr 4000.
Andere Bilder fehlen. In Erinnerung geblieben sind Namen: Karl, Baumgart, Peter Burggraf, Karl Wolf... – zwölf Parteimitglieder wurden Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes. Ihrer zum Gedenken wird die SPD vom Künstler Gunter Demnig so genannte Stolpersteine vor den letzten selbstgewählten Wohnorten der Opfer verlegen lassen, kündigt Kutschaty an.
Es sind Momente wie diese, in denen ihm bewusst werde, was es bedeutet, Vorsitzender dieser Partei zu sein. Kutschaty spricht von Demut. Geschichte bedeutet auch Verantwortung. Aber auch ein Stück Gelassenheit, dass sich die Dinge immer zum Besseren wenden können. In diesem Jahr habe die SPD 138 Mitglieder hinzugewonnen. Die Grundwerte der Partei Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität seien heute noch gültig, betont Kutschaty.
>>> SO FEIERT DIE SPD IHR 150-JÄHRIGES BESTEHEN
Historische Radtouren
Eine geführte Radtour folgt schon am kommenden Sonntag, 23. April den Spuren der Arbeiterdichter Heinrich Kämpchen und Ludwig Kessing im Essener Süden. Von Burgaltendorf geht die Tour entlang der Ruhr zum Baldeneysee mit Zwischenstopps an Industriedenkmälern, wo aus den Werken der Dichter vorgetragen wird.
Die Lebensverhältnisse der Arbeiter beleuchtet eine weitere geführte Radtour am Sonntag, 25. Juni, von der Meerbruchstraße in Katernberg, über das Eltingviertel und das ehemalige Segeroth bis zur Margarethenhöhe, wo eine historische Musterwohnung besichtigt wird.
Entlang der „Grünen 14“, des Renaturierungsprogramms der 1980er Jahre, geht es am Sonntag, 10. September. Anmeldung jeweils: 820230.
Vorträge und Diskussionen
Über die Zerschlagung der freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933 referiert der Autor Seckin Söylemez am Dienstag, 25. April, um 18 Uhr im DGB-Haus, Teichstraße 4. Anmeldung: 820230.
Der Journalist und Autor Günter Streich blickt am 13. Juni, 18 Uhr, im Gustav-Streich-Haus der Awo, Borbecker Straße 14, in einem Vortrag mit anschließender Diskussion auf das Leben seines Vaters Gustav Streich zurück. Streich gehörte zum Widerstand gegen das NS-Regime und war aktiv am Wiederaufbau der SPD nach dem Krieg beteiligt.
Familienfest
Mit einem großen Familienfest feiert die SPD am Samstag, 2. September, ab 10 Uhr, auf dem Willy-Brandt-Platz Geburtstag. Besucher erwarten Live-Musik und Attraktionen.
Plakat-Ausstellung
Eine Auswahl historischer Wahlplakate wird am 1. Mai anlässlich der großen Mai-Kundgebung auf dem Burgplatz gezeigt.
Zukunftswerkstatt
Was bedeuten die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität heute? Darum geht es in der Zukunftswerkstatt am 11. September, 18 Uhr, im Hotel Franz, Steeler Straße 261.