Essen. . Wallraff-Team deckte skandalöse Zustände in einer Leverkusener Werkstatt auf. Essens größter Betreiber GSE beteuert: Bei uns gibt’s die nicht.

Seit das „Team Wallraff“ für den Fernsehsender RTL in einer Reportage Missstände in einer Werkstatt für Behinderte aufgedeckt und gezeigt hat, ist die gesamte Branche in Aufruhr. „Die dort gezeigten Schikanen von Mitarbeitern gegenüber ihren Schützlingen haben uns sehr erschreckt“, sagt GSE-Geschäftsführer Heribert Piel und versichert: „In unseren Betrieben gibt es solche menschenverachtenden Handlungen nicht.“

Insgesamt acht dieser Werkstätten für behinderte Menschen betreibt die stadteigene Gesellschaft für soziale Dienstleistungen (GSE) allein in Essen und ist damit einer der größten Träger im Rheinland. „Wir pflegen nicht nur einen offenen Umgang mit den Menschen, die hier arbeiten. Unser Personal ist auch gut geschult, geht regelmäßig zu Fortbildungen und hinterfragt sich und seine Arbeit bei Dienstbesprechungen und Supervisionen“, versichert Piel. Respektvoll, einfühlsam aber ohne die Grenze zu überschreiten, würden die vielen GSE-Mitarbeiter, unter ihnen Psychologen, Heilpädagogen und Sozialpädagogen, den Menschen begegnen und mit ihnen arbeiten.

Unterschiedliche Arbeitsangebote in den GSE-Werkstätten

Eine davon ist Wiebke Meiwald. Vor mehr als drei Jahren hat sie eine schwere Depression aus ihrem bisherigen Leben katapultiert. Nach einer langen Krankheitsphase mit Klinikaufenthalt wagte die gelernte Altenpflegerin einen Neubeginn in der GSE-Werkstatt Nord I für psychisch Kranke. Statt alte Menschen zu betreuen, schraubt die 38-Jährige jetzt gekonnt an Fahrrädern, prüft Bremsen und Gangschaltung.

Dass sie hier sein kann, sei für sie ein Glücksfall: „Ich fühle mich sehr wohl. Mein Tag hat Struktur, ich habe mehr Selbstbewusstsein und genieße es auch, inzwischen wieder viele Kontakte zu haben.“ Ihre Tätigkeit in der Fahrradwerkstatt hat sie sich selbst ausgesucht. „Und wenn Frau Meiwald nach einer Zeit woanders arbeiten möchte, dann richten wir das ein“, sagt Piel und spricht damit auch ein Thema des Wallraff-Berichtes an: Dieser hatte auch die sinnlosen und stupiden Tätigkeiten in Werkstätten angeprangert.

Davon sei man in Nord I weit entfernt. Die 165 Menschen, die hier tagtäglich hinkommen, können in verschiedenen Bereichen tätig sein: Computerarbeit, Hauswirtschaft, Lettershop, Lagerwirtschaft, Außenarbeit und Montage gehören zum Spektrum. Herzstück und Stolz der GSE ist allerdings die Fahrradfertigung: Hier werden Kinderräder eines namhaften deutschen Herstellers montiert. „Sämtliche 20- und 24-Zoll-Räder kommen aus unserer Werkstatt“, erklärt Leiter Ralf Schmitz und fügt hinzu: „Damit dokumentieren wir auch, dass eine Behindertenwerkstatt kein Abstellgleis ist. Bei der Auftragsvergabe müssen wir uns mit Firmen des ersten Arbeitsmarktes messen.“

Rückkehr in den Beruf gelingt selten

Wie leistungsstark Mitarbeiter sind oder sein können, stellt sich beim anfänglichen Eingangsverfahren heraus, das bis zu drei Monate dauern kann. Danach folgt eine ein-, maximal zweijährige berufliche Bildung. Gleichzeitig werden die Menschen stabilisiert und betreut.

Doch nur wenigen gelingt die Rückkehr in ihren alten Beruf. Oder ein Neuanfang in der neu erlernten Tätigkeit. Für die meisten dagegen ist und bleibt das Nord I ein Raum, der ihnen langfristig Schutz bietet.