Essen. . Darf eine nicht-jüdische Frau neben ihrem jüdischen Mann bestattet werden? Jüdische Gemeinde hat nach zwei Niederlagen vor Gericht eingelenkt.
- Darf eine nicht-jüdische Frau auf dem Jüdischen Friedhof neben ihrem jüdischen Mann bestattet werden?
- Diese Frage führte zu einem fünf Jahre langen Rechtsstreit zwischen der Gemeinde und den Angehörigen
- Nach zwei Niederlagen vor Gericht lenkt die Kultusgemeinde ein, nun darf Hildegard Schwarz umgebettet werden
Der Jüdische Friedhof in Huttrop: Michael Schwarz aus Burscheid verneigt sich an diesem sonnigen Februarmorgen vor der Gruft seines Vaters Josef (1920–1996). Auf der Granitplatte ist in lateinischer Schrift sein Name eingraviert, versehen mit einem Spruch auf Hebräisch:„Möge seine Seele eingebunden sein im Bündel des Lebens.“
Die Platte direkt daneben hätte schon seit gut fünf Jahren ebenfalls beschriftet sein sollen: mit dem Namen von Hildegard Schwarz, der 2011 gestorbenen Stiefmutter.
Doch in einem unerbittlichen und Deutschland weit wohl einmaligen Rechtsstreit hat die Jüdische Gemeinde Essen Hildegard Schwarz’ Bestattung zu verhindern versucht – weil sie Nicht-Jüdin ist und die Friedhofssatzung nur die Bestattung von Juden gestatte.
Landesverband: Gemeinde akzeptiert das Urteil
Jetzt aber, nach zwei juristischen Niederlagen – zuerst 2012 vor dem Verwaltungsgericht und kürzlich vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster – steht fest: Hildegard Schwarz wird ihre letzte Ruhe nun doch an der Seite des geliebten Mannes finden.
„Die Jüdische Gemeinde akzeptiert das Urteil und verzichtet auf eine Verfassungsbeschwerde“, sagt Michael Rubinstein, Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden Nordrhein, der von der Essener Gemeinde eingeschaltet worden ist.
Schwarz (68) erfüllt diese Wendung mit großer Genugtuung. Es scheint, als sei eine tonnenschwere Last von ihm abgefallen. „Zwei Menschen, die im Leben zusammen gehalten haben, darf man im Tod nicht trennen“, sagt er. Und erinnert daran, dass die Eheleute fast vierzig Jahre verheiratet waren und die Stiefmutter den Vater nach dem Schlaganfall jahrelang liebevoll gepflegt habe.
Kaufbeleg von 1971 über 1000 D-Mark als Beweis
Aber wie um Himmels Willen ist es zu dieser furchtbaren juristischen Eskalation gekommen? Schwarz verweist auf eine Quittung von 1971, die belegt, dass sein Vater das Doppelgrab zum Preis von 1000 D-Mark reserviert hat. Der damalige Gemeindevorsteher hat ausdrücklich den wichtigen Vermerk „ . . . trotzdem Ihre Ehefrau Nichtjüdin ist“ hinzugefügt.
1993 lässt sich Michael Schwarz das gemischt-konfessionelle Grab ein zweites Mal von der Jüdischen Kultusgemeinde bestätigen. Drei Jahre später stirbt der Vater und wird in dem Doppelgrab beerdigt. Doch 1998 ändert die Jüdische Kultusgemeinde ihre Friedhofssatzung.
Das jüdische Glaubensrecht, die so genannte „Halacha“, wird jetzt streng orthodox ausgelegt. Als Hildegard Schwarz 2011 stirbt, lehnt die Gemeinde ihre Bestattung im Doppelgrab ab, da der Friedhof nun allein Mitgliedern vorbehalten sei.
“Es war eine furchtbare Zeit mit viel Leid und Tränen“
Die Schwarz-Kinder empfinden dies wie eine schallende Ohrfeige. Hastig müssen sie die Stiefmutter nebenan auf dem Parkfriedhof beerdigen. Ein beklemmendes Provisorium, das bald zu Ende geht. „Es war eine furchtbare Zeit mit viel Leid und Tränen.“ Seine Schwester sei aus Gram krank geworden.
Um die Hintergründe des Essener Gräberstreits zu verstehen, muss man wissen, dass die Gemeinde infolge der Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion zeitweise orthodox geführt wurde. „Bis dahin hat es hier immer ein liberales Judentum gegeben“, sagt Schwarz.
1948 in Palästina geboren und in Essen aufgewachsen
Seine Familie war 1936 vor den Nazis nach Palästina geflüchtet, er selbst ist dort 1948 geboren. Aber 1952 zieht der von Heimweh geplagten Vater zurück ins Land der Täter, um in Essen einen expandierenden Altpapierhandel aufzubauen, 1958 heiratet er Hildegard.
Kindheit und Jugend in Essen haben den ältesten Schwarz-Sohn tief geprägt. 1966 ist er der erste Essener Jude, der nach dem Holocaust die Abiturprüfung ablegt. Weil die in der Kristallnacht niedergebrannte Synagoge nicht genutzt werden kann, trifft sich die auf 40 Mitglieder geschrumpfte Gemeinde im Rabbinerhaus.
Neuankömmlinge mit „leichtem jüdischem Gepäck“
Hier taucht Michael Schwarz ein in die Jüdischkeit, feiert Pessach und Purim, Jom Kippur und Rosh-Hashana. „Ich hatte hier meine Bar-Mizwa und habe geheiratet.“ Bei Freizeiten im Bund der Jüdischen Jugend freundete er sich mit dem jungen Josef Schuster an, heute Präsident des Zentralrats.
Über die Neuankömmlinge hat der frühere Landesrabbiner Henry Brandt einmal gesagt, dass viele „mit leichtem jüdischem Gepäck“ herübergekommen seien. Jetzt sind sie es, die in den stark gewachsenen Gemeinden das Sagen haben.
Aber Schwarz sagt mit fester Stimme: „Ich spreche ihnen das Recht ab, mir das jüdische Glaubensrecht zu erklären.“ Beim Spaziergang über den Friedhof erklärt er auch, warum es viel mehr gemischt-konfessionelle Gräber gibt als angenommen.
Liberale jüdische Gemeinde legen Grabfelder für „gemischte Paare“ an
Auf dem Friedhof verspürt Michael Schwarz ein starkes Heimatgefühl. „Ich habe viele gekannt“, sagt er, als er an den Gräbern der Rosenbergs und Oppenheimers, der Loewen-steins und Anschels, der Blums und Levys vorbeischreitet. Auf Anhieb vermag er 16 Doppelgräber zu benennen, in denen die Ehefrau keine Jüdin war.
„Oft haben sie in finsterster Zeit zu ihren verfolgten Partnern gehalten und dabei ihr Leben riskiert.“ Aus Dankbarkeit vor diesen mutigen Frauen hätten die Jüdischen Gemeinden in Essen und anderswo nach dem Holocaust die Beisetzung an der Seite ihrer Partner ausdrücklich und gerne erlaubt.
Menschenwürde und Totenwürde
Und heute? Weil die Zahl der gemischt-konfessionellen Paare stark zugenommen hat, setzt sich in den Gemeinden zunehmend eine liberale Praxis durch. Beispiel Gelsenkirchen: Nach einem Bericht der „Jüdischen Allgemeinen“ hat die Jüdische Gemeinde vor fünf Jahren ein Gräberfeld hinzugekauft, um jüdische Eheleute zusammen mit ihren nicht-jüdischen Partnern beerdigen zu können.
Das Feld ist abgetrennt durch eine Hecke. In Mülheim verfahren sie genauso, die Hecke nennen sie einen „lebenden Zaun“. Als weitere liberale Beispiele für gemischte Paare führt die Wochenzeitung Mainz, Emmendingen, Dresden und Berlin-Weißensee an.
Im Essener Grabstreit hat sich der 19. Senat des OVG Münster auf Artikel 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) berufen. Die Kultusgemeinde habe mit ihrer Ablehnung gegen die „Totenwürde beider Eheleute“ verstoßen, in der sich die Menschenwürde als oberstes Verfassungsprinzip nach dem Tod fortsetze.
Es ist insofern ein bemerkenswertes Urteil, als sich ein weltliches Gericht in diesem Einzelfall über, wie es betont, den „ebenfalls besonders hoch zu gewichtenden Schutz des Selbstverwaltungsrechts der Kultusgemeinde“ hinweggesetzt hat.