Essen. . Der Brustkrebs hat die Kettwigerin Birgit Haeyn fast aus der Bahn geworfen. Ihr größter Wunsch für 2017: Ein Jahr mit vielen lebenswerten Tagen.

Folgen auf schlechte Jahre, wie in der Bibel oder im Märchen, wieder gute Jahre? „Ich hoffe es, ich wünsche es mir“, sagt Birgit Haeyn. „Und ich glaube es auch“, betont sie. Die 54-jährige Kettwigerin hatte schlechte Jahre: Brustkrebs. Nach einer intensiven Therapie ist sie derzeit krebsfrei. Und sie wünscht sich ein gutes, ein wieder besseres Jahr 2017. „Mit ganz vielen besonderen und lebenswerten Tagen.“

Als die Diagnose kam, zog sich ein schwarzer Vorhang vor Birgit Haeyn. Aussicht und Perspektive gleich null. „Ich habe sofort gedacht, ich muss sterben. Und ich habe mich gefragt: Warum ich?“, erinnert sich die 54-Jährige an die plötzliche Ausweglosigkeit.

„Leben wird wie durch ein Erdbeben erschüttert“

Der Sturz in ein tiefes psychisches Loch stand unmittelbar bevor. „Eine typische Reaktion. Das Leben wird wie durch ein Erdbeben erschüttert. Das kann bis zur depressiven Verstimmung und zur Depression gehen“, sagt Dr. Sherko Kümmel, Direktor der Klinik für Senologie und Leiter des Brustzentrums der Kliniken Essen-Mitte.

Dort werden die meisten Brustkrebs-Patientinnen in Essen behandelt. Wie auch Birgit Haeyn. Kümmel: „Es geht ums Überleben. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Patientinnen mitnehmen und einen lebensbejahenden Weg aufzeigen. Ihnen erklären, wo Hoffnung ist.“ Ein Großteil der Brustkrebs-Patientinnen kann inzwischen geheilt werden.

Ehemann und Sohn standen ihr zur Seite

Birgit Haeyn hatte Glück. „Mädchen, so schnell stirbst du nicht“, sagte ihr ein Arzt, dem sie vertraute. Ihr Sohn Julian und ihr Gatte Thomas standen der Mutter und Ehefrau, die sonst jederzeit einsatzbereit war, zur Seite. Zum Beispiel bei den Therapiegesprächen. „Die Aufnahmefähigkeit ist begrenzt, die Angst oft da. Ich habe nicht immer alles mitbekommen und später erst Fragen gehabt“, erklärt die 54-Jährige.

Ihre Familie war auch bei den anstrengenden Behandlungen mit Operation, Chemotherapie und Bestrahlung da. Die Folgen waren schwerwiegend: Ständige Erschöpfungszustände, Antriebslosigkeit, Haarverlust. „Ich habe mich immer wieder gefragt, wie oft müssen wir die Meisenburgstraße noch entlang fahren, bis es mir endlich besser geht?“, erinnert sich Birgit Haeyn an die vielen Besuche, die sie immer wieder von Kettwig ins Huyssensstift führten. „Es war eine unglaubliche Last für Körper, Geist und Seele.“

Eine Last, die sich zum Glück auf mehrere Schultern verteilen ließ. „Mein Mann und mein Sohn waren eine sehr große, eine unglaubliche Hilfe.“ Als Zuhörer. Als Unterstützer. Als Mutmacher. „Oder auch, als sie mir in unserem Bad die Haare auf dem Kopf bis zur Glatze abgeschnitten haben.“

Mit der Kamera Momente des Lebens festhalten

Die Fahrten sind deutlich weniger geworden. Nur noch zur Kontrolle und Vorsorge kommt die 54-Jährige in die Klinik nach Huttrop. Die Prognose für sie ist derzeit gut. „Und das bleibt hoffentlich so“, sagt Birgit Haeyn. Passend dazu hellt ein winterlicher Sonnenstrahl das Büro, wo das Interview stattfindet, auf.

Die Kettwigerin lächelt. Sie ist gerne da, wo sie die Sonne noch besser spürt. Draußen. „Was soll ich in der Wohnung sitzen? Ich liebe frische Luft.“ Auf den Wiesen. Im Wald. An der Ruhr. Ausgedehnte Spaziergänge sind ihre Leidenschaft geworden. Immer dabei: Ihre kleine schwarze Kamera. „Für Beobachtungen. Für Momente des Lebens, die ich gerne festhalte.“

„Ich will bewusster leben. Jeden Tag“

Sie hat Kleinigkeiten geändert, Alltägliches. Aber auch ihre Einstellung. Und damit Grundsätzliches. Dabei haben sich Wertigkeiten verschoben. „’Was ist wirklich wichtig?’, habe ich mich gefragt“, sagt Birgit Haeyn.

Ihre Antwort: „Ich bin nicht mehr immer erreichbar und dann 24 Stunden für andere da. Ich will bewusster leben. Und damit intensiver. Jeden Tag. Ich fühle, ich spüre mehr Lebensqualität. Das ist vielleicht ein positiver Aspekt der Erkrankung.“

Der Sonnenstrahl ist inzwischen weiter gezogen. Birgit Haeyn überlegt kurz. Sie lächelt, hellt den Raum damit auf. „Im Moment fühlt sich alles gut an.“

„Das Leben beißt, das Leben küsst“, heißt treffend dazu eine Zeile des Musikers Bosse.