Essen. . Im „Gebetomat“ können Besucher aus über 300 Glaubens-Texten in 64 verschiedenen Sprachen wählen. Der Automat steht im Foyer des Grillo-Theaters.
- Künstler Oliver Sturm: Gebetomat soll „die kleinste Form eines spirituellen Raums“ sein
- Organisatoren erhoffen sich ernsthafte Auseinandersetzung mit verschiedenen Arten von Glauben
- Gebetomat ist Teil des Spielzeitmottos des Grillo-Theater: „Einer muss dran glauben“
Ein paar wenige Klicks auf dem Touchscreen: Die beruhigende Stimme eines Rabbiners erklingt, erfüllt die kleine rechteckige Kabine. Weiter klicken: Ein Muezzin ruft zum islamischen Gebet, ersetzt die Stimme des jüdischen Geistlichen. Gebete aus dem Automaten: Reinsetzen, Glaubensrichtung und Sprache auswählen – zuhören.
Eine kurze religiöse Einkehr. Ein Innehalten in einer Zeit, die immer hektischer wird – so die Idee. Im Grillo-Theater im Bereich des rechten Seitenfoyers steht der Ein-Mann-Gebetsraum – der „Gebetomat“.
Auf engstem Raum bietet sich die Chance der kurzen Andacht. Der Gebetomat erinnert unweigerlich an einen Fotoautomaten, wie er an jedem Hauptbahnhof steht. Ein Vorhang trennt den kleinen Innenraum mit festgeschraubtem Hocker, Touchscreen-Bildschirm und zwei Boxen, aus denen die Gebetstexte klingen, von der Außenwelt. Die Ähnlichkeit ist gewollt.
Künstler entwarf Gebetomat für Transiträumen
Der Berliner Künstler Oliver Sturm hat den Gebetomaten 2009 kreiert – als „kleinste Form eines spirituellen Raums“. Sechs Exemplare vermietet Sturm europaweit. Meist stehen die Glaubens-Automaten in Transiträumen: in Bahnhöfen, an Flughäfen oder Raststätten. Die Kabinen sollen als Rückzugsort zum eigenen Gebet oder zum Zuhören dienen.
Die Auswahl ist groß: über 300 Gebeten in 64 verschiedenen Sprachen. Die fünf großen Weltreligionen Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus sind vertreten. Aber auch ein Text der Scientology-Sekte ist zu finden – unter „weitere Religionen“. Der Gebetomat soll augenscheinlich die ganze Glaubens-Vielfalt abbilden.
„Diskussion über Religionen rückt in den Fokus“
Florian Heller, Dramaturg am Schauspiel Essen, hat den Gebetomaten Ende September in Kooperation mit dem Bistum Essen ins Grillo-Theater geholt. Das derzeitige Spielzeitmotto lautet „Einer muss dran glauben“. Da habe der kleine Gebetsraum gut ins Konzept gepasst. Bis zum Ende der Spielzeit im Juli 2017 wird der Gebetomat in Essen stehen. Wenn das Café im Foyer geöffnet hat, ist er angeschaltet.
„Die Diskussion über Religionen und Kulturen rückt momentan durch die Konflikte auf der Welt wieder stärker in den Fokus“, sagt Heller. „Wir wollen eine reale und künstlerische Auseinandersetzung ermöglichen.“ Vor allem neugierige Theaterbesucher sehe er im Gebetomaten. „Meistens hören sie sich Dinge an, die sie nicht kennen.“
Marlies Woltering, Referentin für das Schulpastoral im Bistum Essen, hatte ursprünglich geplant den Gebetomaten als Wanderstück für Schulen nach Essen zu holen. Dann erfuhr sie vom Interesse des Theaters und schloss sich dem Projekt an, lädt nun Schulklassen zum Besuch ein.
Sammeln der Texte dauerte zehn Jahre
„Der Gebetomat bietet sich nicht unbedingt für das eigene Gebet an, sondern eher für die Auseinandersetzung mit anderen Religionen“, sagt sie. Im Gebet liege die Gemeinsamkeit. Auch das befremdliche Texte wie der von Scientology dabei sind, stört die Kirchenfrau nicht. „Es geht darum, sich auch damit kritisch zu beschäftigen.“
Über zehn Jahre habe es gedauert, die 300 Gebete und Texte zu sammeln. „Sie sind live mitgeschnitten, nicht eingesprochen“, erklärt Woltering. Sie ist überzeugt, dass die Sammlung eine spirituelle Erfahrung sein kann. Auch die Stücke aus fremden Kulturen. Florian Heller stimmt ihr zu. „Religion und Kunst treffen sich hier. Die Texte verbinden unabhängig von Sprache, sie funktionieren wie Lyrik.“