Generalvikar Klaus Pfeffer über das bauliche Schrumpfen der Gemeinden und die Grenzen spiritueller Erfahrungen in großen Kirchengebäuden.

Das Bistum Essen steht vor einem gewaltigen Umbruch, der auch mit der Aufgabe von Kirchen und der Schließung von Kitas einhergehen wird. Wie gleichzeitig ein Signal des Aufbruchs an die Gläubigen ausgesendet werden soll, erklärt Generalvikar Klaus Pfeffer.

Herr Pfeffer, wie kommt es, dass die Kirchen zu Heiligabend voll sind, während an normalen Sonntagen nur knapp zehn Prozent der Gläubigen kommen?

Weihnachten ist ein Fest, das bei den Menschen viele Emotionen auslöst. Da werden Erinnerungen aus Kindertagen wach und es wird eine tiefe, innere Sehnsucht angerührt, dass es doch noch mehr gibt, als das, was man so sehen und greifen kann. Wenn dies dazu führt, dass die Kirchen rappelvoll sind, freut es mich sehr. Ich erlebe in diesen Gottesdiensten aufmerksame, gespannte Menschen – und ich sehe keine Veranlassung, ihnen vorzuwerfen, dass sie sonst nicht da sind. Im Gegenteil: Wir als Prediger müssen die Weihnachtsbotschaft so verkünden, dass sie auch diejenigen verstehen, die selten kommen, die nun aber ein Wort des Trostes, der Ermutigung hören möchten.

„Es gibt das Interesse an den großen Fragen“

Was finden die Menschen denn zu Weihnachten in der Messe?

Die Gläubigen haben heute einfach die Freiheit, den Kontakt zur Kirche nur zu suchen, wenn bestimmte Ereignisse in ihrer Lebensgeschichte zentrale Fragen aufwerfen – oder etwa zu Weihnachten. Wir müssen uns allerdings selbstkritisch fragen, warum es uns zu wenig gelingt, die Menschen in ihrer religiösen Bedürftigkeit zu erreichen. Ich habe kürzlich mit Oberstufenschülern des Gymnasiums am Stoppenberg gesprochen und erlebt, dass sie sehr wohl ein Interesse an den großen Fragen von Gut und Böse, Leben und Tod haben. Doch sie finden bei uns in der Kirche nur wenige Orte, wo sie mit ihren Fragen gehört werden und wo sie erwachsene Partner finden, die mit ihnen in einer Sprache reden, die sie verstehen.

© Achim Pohl

Wie wollen Sie mehr Nähe zu den Gläubigen herstellen, wenn die 43 Pfarreien im Bistum bis 2030 mit der Hälfte ihres jetzigen Budgets auskommen sollen?

Wir haben seit der Gründung des Ruhrbistums die Hälfte unserer Mitglieder verloren, das wirkt sich auch finanziell aus – und wir müssen darauf angemessen reagieren. Wir unterhalten einen gewaltigen organisatorischen Apparat und leisten uns vor allem einen Gebäudebestand, der nicht nur zu groß, sondern vielerorts auch noch sanierungsbedürftig ist.

Hat sich das denn nicht über längere Zeit angekündigt?

In der Vergangenheit wurde versäumt, hinreichend Rücklagen für den Erhalt unserer Gebäude zu bilden. Man setzte darauf, dass „das Bistum“ schon helfen wird oder man notfalls etwas verkauft. Das hat funktioniert, so lange das Bistum noch deutlich wohlhabender war. Wenn wir aber heute weiter so handeln würden, käme es irgendwann zum wirtschaftlichen Desaster. Also müssen wir uns jetzt die Frage stellen, ob es immer sinnvoll ist, viele Millionen Euro in Mauern zu investieren – Millionen, die dann aber nicht zur Verfügung stehen, um sie in andere Projekte für Menschen zu investieren...

„Die Pfarreien haben die Freiheit der Entscheidung“

Auf wie viele Kirchenbauten wird Essen verzichten müssen?

Es wird eine größere Zahl sein, mehr lässt sich noch nicht sagen. Schließlich haben wir den Pfarreien die Freiheit gegeben, zu entscheiden, wie sie das ab 2030 noch zur Verfügung stehende Geld einsetzen wollen. Einige Pfarreien haben bereits entschieden, dass sie in jedem Stadtteil präsent sein wollen, aber nicht überall mit einer Kirche; sondern in anderer Form - zum Beispiel mit einer Jugendeinrichtung oder einer Kita. Natürlich verstehe ich, dass manche Katholiken an „ihrem“ Kirchengebäude hängen. Aber wir müssen nüchtern wahrnehmen, dass es in den nächsten Jahren immer weniger Menschen geben wird, die unsere Kirchen füllen. Einige Kirchen sind zudem viel zu groß, um darin eine spirituelle Erfahrung machen zu können...

Brauchen wir also andere Kirchen?

Es wäre mein großer Traum, tatsächlich mal neue Kirchen für unsere Zeit zu bauen, die ganz anders aussehen würden.

Besonders ältere Gläubige klagen, dass sie mit ihrer angestammten Kirche ein Stück Heimat verlieren.

Mancherorts haben die Menschen nach dem Krieg die Kirchen sogar selbst mit aufgebaut. Natürlich ist es schmerzlich, nun zu hören, dass dieses Haus nicht mehr gebraucht wird. Manche drohen in ihrer Verzweiflung: Wenn Ihr diese Kirche schließt, trete ich aus. Gleichzeitig ist die jüngere Generation oft gar nicht am Gemeindeleben vor Ort interessiert. Sie geht dahin, wo sie inhaltlich oder vom Stil das findet, was ihr entspricht.

„Mancher, der klagt, kennt die Kirchen von innen nicht“

Eine Kirche wie St. Nikolaus in Stoppenberg prägt auch das Stadtbild. Verzichtet man mit einem solchen Bau nicht auch auf kirchliches Selbstbewusstsein?

Noch ist hier keine Entscheidung gefallen, und St. Nikolaus ist unzweifelhaft ein großartiges Gebäude, das den Stadtteil prägt. Aber wir dürfen nicht der Illusion erliegen, dass die Größe der Gebäude die Strahlkraft unserer Kirche bestimmt. Unmittelbar neben St. Nikolaus steht die kleine Stiftskirche auf dem Karmelberg, die eine tiefe geistliche Atmosphäre vermittelt. Es muss doch möglich sein, darüber nachzudenken, welcher Ort die größere Strahlkraft für die Zukunft der Kirche in Stoppenberg hat. Nebenbei bemerkt: Mancher, der die mögliche Aufgabe einer Kirche beklagt, kennt diese vielleicht kaum von innen.

Ihr Abschied von Kirchenbauten und von ganzen Stadtteilen klingt ziemlich abgeklärt. Verabschiedet sich die Kirche vom Verkünden der Frohen Botschaft, gilt im Norden der Stadt das „Komm, sag es allen weiter“ nicht mehr?

Der Auftrag, die Frohe Botschaft zu verkünden, richtet sich an alle Christen – nicht nur an die Amtskirche. Alle getauften Christen machen die Nähe der Kirche aus. Deshalb kann auch nicht die Rede davon sein, dass wir uns von ganzen Stadtteilen verabschieden. Jeder Katholik, der sich vor Ort sozial engagiert, hilft dabei, auch im Norden der Stadt. Wie wir in sozialen Brennpunkten arbeiten wollen, zeigt etwa die Rückkehr der Jesuiten, die in Frohnhausen in einem alten Pfarrhaus mit Flüchtlingen und Obdachlosen zusammenwohnen werden. Das ist Verkündigung durch gelebte Solidarität und Nächstenliebe – der Kern der Botschaft Jesu.

„Von den Freikirchen können wir einiges lernen“

Fakt ist: Jedes Jahr verlassen Tausende Menschen die Kirche, wie wollen Sie diese Entwicklung stoppen?

Wir sollten die Menschen in den Blick nehmen, die nicht jeden Sonntag in den Gottesdienst kommen und trotzdem bei uns bleiben und Kirchensteuern zahlen.

Die kennen Sie ja nicht mal...

Aber wir haben gute Chancen, sie kennenzulernen, denn sie kommen ja zu uns: anlässlich von Taufen, Beerdigungen, Hochzeiten. Ich fürchte nur, dass wir ihnen in solchen Situationen zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Die Gemeindemitglieder vertrauen wohl darauf, dass der Pfarrer sich um die Trauernden oder die Tauf-Familie kümmert – und am Ende spricht sie niemand an. Kleine Personalgemeinden oder Freikirchen heißen neue Mitglieder ganz anders willkommen. Was Spiritualität, Glaubenskraft, Engagement angeht, können wir da etwas abschauen. Viele unserer 20 Zukunftsbild-Projekte setzen hier an. Eines nimmt z.B. junge Paare in den Blick, die kirchlich heiraten möchten, aber an manchen bürokratischen Regeln scheitern. Das Kirchenrecht sieht vor, dass sie in der Gemeinde heiraten, in der sie wohnen. Viele junge Leute suchen aber ihre Hochzeitskirche nach anderen Kriterien aus. Darum werden wir jetzt ein Angebot entwickeln, das diesen Paaren mit ihren Wünschen entgegen kommt.

Christliche Werte werden auch in Kitas vermittelt. Doch das Bistum schließt Kitas, weil die Städte andere Träger finanziell bevorzugen.

Diese Ungleichbehandlung basiert auf der Annahme, dass wir Dank der Kirchensteuern finanziell gut aufgestellt sind. Doch im Ruhrgebiet trifft das so nicht zu. Mit dem angekündigten Aus von zehn Kitas haben wir klar gemacht, dass wir so nicht weitermachen können. Dieses Signal ist angekommen: Zum einen sind wir jetzt in guten Gesprächen mit fast allen Kommunen im Bistum und hoffen auf eine Lösung, die uns entlasten wird. Zum anderen hat man auch auf Landesebene verstanden, dass sich bei der Finanzierung etwas tun muss, wenn die Vielfalt der Kita-Landschaft erhalten bleiben soll.

Die Gewerkschaft Verdi will gegen die verkaufsoffenen Sonntage in Essen klagen. Was tut die Kirche?

Die Stadt Essen legt den Veranstaltern auf, gut zu überprüfen, ob ihr Anlass für eine Sonntagsöffnung angemessen ist. Solange das mit Augenmaß geschieht, habe ich damit kein Problem. Es wäre aber ein schwerer Verlust, wenn es zur völligen Angleichung des Sonntags an den Alltag käme.

>>Generalvikar Pfeffer und diePfarrei-Entwicklung

  • Klaus Pfeffer wurde am 5. Dezember 1963 in Werdohl geboren und wuchs in Neuenrade auf. Vor dem Theologiestudium arbeitete er als Journalist. 1992 wurde er zum Priester geweiht. Ende 2012 wurde Pfeffer Generalvikar des Bistums Essen und damit Stellvertreter des Bischofs, zuständig für das Personal und die Verwaltung des Bistums.
  • Im Zuge des Pfarrei-Entwicklungsprozesses müssen die 43 Pfarreien des Ruhrbistums bis 2030 gut die Hälfte ihres Budgets einsparen. Ohne die Aufgabe von Kirchen wird das nicht gehen. Gleichzeitig erhofft man sich eine „lokale Kirchenentwicklung“ und „neuen pastoralen Schwung“.
Christina Wandt