Essen. Ein neues Buch widmet sich dem Leben des Personals der Villa Hügel, ein „Hofstaat“ mit strikten Regeln, der bis zu 648 Mitarbeiter umfasste.

Die Villa Hügel war nicht nur Unternehmerwohnsitz und Repräsentanz einer Weltfirma, sie war ein regelrechter Hofstaat. Eine Zahl verdeutlicht das: Kurz vor dem Ersten Weltkrieg, als Macht, Größe und finanzielle Potenz des Unternehmens ein Allzeithoch erreicht hatten, wurde auch auf dem Hügel ein Beschäftigungsrekord vermerkt: 648 Mitarbeiter taten dort Dienst, ein Großbetrieb für sich. Wie diese Menschen lebten und arbeiteten, wie sie angeleitet wurden, welche Konflikte es gab, davon handelt ein neues Buch des Historikers Stephen Pielhoff, das in der Krupp-Bibliografie eine Lücke schließt: „Im Hause Krupp – die Bediensteten der Villa Hügel“.

Faszination Automobil um 1926: Alfried von Bohlen und Halbach (li.) und sein Bruder Claus (re.) mit einem Mechaniker, der einen Wagen des Fuhrparks der Villa Hügel wartet.
Faszination Automobil um 1926: Alfried von Bohlen und Halbach (li.) und sein Bruder Claus (re.) mit einem Mechaniker, der einen Wagen des Fuhrparks der Villa Hügel wartet. © Historisches Archiv Krupp

Generell gilt: Allenfalls in Königshäusern dürfte es personell ähnlich aufwendig zugegangen sein wie bei den Krupps. Es gab Kindermädchen und Zofen, Stallknechte und Chauffeure, Pförtner und Feuerwehrleute, Köchinnen und Servierer, Wäscherinnen, Telefonisten und selbst Lampenwärter – Dienstleister aller erdenklichen Art also, deren einzige Aufgabe es war, einen so großen und anspruchsvollen Haushalt reibungslos in Gang zu halten.

Der Hügel war auch ein großer Agrarbetrieb

Der Hügel war zudem ein Agrarbetrieb, und zwar mit allem, was dazugehört. So gab es ausgedehnte Nutzgärten und Viehwirtschaft, die während der Lebensmittelkrisen des Ersten Weltkriegs nahezu Autarkie garantierten. Die Kruppschen Wälder wurden von eigenen Förstern und Waldarbeitern akkurat gepflegt, eigene Jäger regulierten den Rotwildbestand und bestückten nebenbei die Küche mit Delikatessen. Die Gesamtleitung oblag bestens bezahlten Angestellten, die sich als Gutsverwalter oder Bürgermeister einer mittleren Stadt bereits Verdienste erworben hatten.

Eine zeittypisch strikte Hierarchie und ein rigides Reglement waren die Grundlage für alles. Freundschaften unter den Bediensteten etwa waren nicht gern gesehen, sexuelle Beziehungen sogar strikt untersagt und mit sofortiger Entlassung bedroht. In den Akten, die Pielhoff ohne Einschränkung einsehen konnte, war abgesehen von Andeutungen wenig darüber zu finden, was zwei Gründe haben kann: Entweder es kam nicht vor – was eher unwahrscheinlich sein dürfte – oder man fand Wege, im Fall des Falles die Dinge diskret zu „legalisieren“.

Gedrillt auf absolute Diskretion

Interessant sei auch „dass die Quellen kein intimes Wissen über die Krupps selbst preisgeben“, schreibt Pielhoff. Das Personal war auf absolute Diskretion gedrillt, Klatsch und Tratsch galten als Todsünden und hätten die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedeutet. Folglich haben bis heute viele der süffig ausgebreiteten Details zum Privatleben der Krupps den Charakter der Kolportage und können kaum nachprüfbar untermauert werden.

Treue, also die Dauer der Zugehörigkeit, war neben tadellosem Betragen und der Arbeitsleistung die härteste Währung für Hügel-Bedienstete. Mehr noch als in den Fabriken galt: Wer sich anpasste und funktionierte, hatte zumindest in den guten Zeiten wenig Sorgen. Als langjähriger Kammerdiener oder „Lieblings-Kindermädchen“ konnte man sogar regelrecht reich werden – jedenfalls für damalige Verhältnisse.

Geldregen nach dem Tod von Friedrich Alfred Krupp

Höhepunkt war der Geldregen nach dem Tod von Friedrich Alfred Krupp im Jahr 1906. Mit Summen zwischen 300 und 150 000 Mark wurden testamentarisch 80 Männer und 28 Frauen bedacht. Nach heutigem Wert spendierte Krupp somit seinen unmittelbaren Hügel-Bediensteten mehrere Millionen Euro. „Die meisten erhielten ein Mehrfaches ihres Jahreslohns“, heißt es im Buch.

Kostenloses Wohnen, etwa in der noch heute existierenden Siedlung Brandenbusch, kam als geldwerte Leistung dazu. Nicht zu reden vom Sozialprestige, den ein Arbeitsplatz auf dem mythisch verklärten Hügel mit sich brachte. Daneben gab es vor allem in den Krisenjahren nach 1919 auch die andere Seite: Ziemlich rigoros und ohne Abfindungen wurde das Hügel-Personal reduziert, als Krupp die Pleite drohte.

Ein Plus für sich sind mal wieder die wunderbaren Fotos

Fazit: Nach längerer Zeit wieder ein hochinteressantes Krupp-Buch, fundiert recherchiert und von Stephen Pielhoff sowie der Journalistin Waltraud Murauer-Ziebach unterhaltsam und verständlich geschrieben. Die Bildauswahl mit teils nie gezeigten Foto-Schätzen ist – wie so oft bei Krupp – ein Plus für sich, ebenso wie der hochwertige Druck, den andere Verlage sich schon längst kaum noch leisten. Und das alles gibt es noch - vermutlich dank der Zuschüsse der Krupp-Stiftung - zu einem ausgesprochen sozialverträglichen Preis.

Stephen Pielhoff/Waltraud Murauer-ZiebachIm Hause Krupp - die Bediensteten der Villa Hügel, Deutscher Kunstverlag, 224 Seiten, 216 Abbildungen, 12,90 Euro

Auch in diesem Jahr gibt der Büchermarkt wieder einiges her zur Stadt Essen und ihrer Geschichte. Im Folgenden eine Auswahl:

Architektur der Margarethenhöhe

Über die Margarethenhöhe sind schon viele Bücher geschrieben worden, die diesen großen Wurf des Siedlungsbaus würdigten, in dem das menschliche Maß oberste Richtschnur war. Welche Überlegungen und Bau-Philosophien die Architekten antrieben, wie sie ihre Aufgabe unter den selten günstigen finanziellen und räumlichen Rahmenbedingungen in Häuser, Gärten und öffentlichen Raum umsetzten, davon handelt dieses Buch. Wer bei einem intensiven Besuch der Gartenstadt wirklich mehr verstehen möchte, wird das handliche, knapp gehaltene, aber dennoch faktengesättigte Werk zu schätzen wissen.

Rainer Metzendorf/Achim Mikuscheit: Architekturführer durch die Gartenstadt Margarethenhöhe, Klartext-Verlag, 120 Seiten, viele Bilder und Zeichnungen, 12,95 Euro

Die zerklüftete Geschichte der Alten Synagoge

Die Alte Synagoge war vieles in ihrem über 100-jährigen Leben: Gebetsort für die blühende jüdische Gemeinde der Kaiserzeit und der Weimarer Republik, Hassobjekt in der NS-Zeit, mahnende, überraschend gut erhaltene Ruine in den Nachkriegsjahren, zweckentfremdetes „Haus Industrieform“, Gedenkstätte des Essener Widerstands und schließlich Haus der jüdischen Kultur. Es war Zeit, diese zerklüftete Historie in einem Buch aufzuarbeiten, in dem auch die strittige Geschichtspolitik der letzten Jahrzehnte nicht ausgespart wird.

Alte Synagoge Essen - Haus jüdischer Kultur, Klartext-Verlag, 208 Seiten, viele Fotos, 19,95 Euro

111 Orte - man lernt was über Essen

„111 Orte“ ist eine Erfolgsreihe, die es bereits in vielen Städte gibt. Nun war Essen an der Reihe, und Autor Fabian Pasalk hat seine Sache gut gemacht. Klassische Sehenswürdigkeiten hat er als bekannt vorausgesetzt und ausgelassen. Zudem war er bemüht, sich vom „Essen entdecken“-Buch der WAZ so weit wie möglich zu unterscheiden. Also hat der Autor die Stadt noch einmal nach Sehenswertem durchkämmt. Nicht alles ist eine lange Reise wert, aber für den Essener doch interessant. Hundebrücke, Friedenseiche oder Fünfkirchenblick - man lernt was über seine Stadt.

Fabian Pasalk: 111 Orte, die man in Essen gesehen haben muss, Emons-Verlag, 240 S., Bilder, 16.95 Euro

Die 50 Essener Stadtteile, präsentiert von Bewohnern

Essen ist eine Stadt mit respektabler Geschichte - und trotzdem verstehen sich viele Bürger ganz bewusst als Bewohner ihres Stadtteils. Durchaus kann man das auch historisch begründen: Viele der eingemeindeten Orte hatten eigene stolze Traditionen als Städte oder als alte Gemeinden mit Ausstrahlung auf das bäuerliche Umfeld. Die Vielfalt ist auch räumlich spürbar: Zwischen der Emscherniederung und den hügeligen Stadtteilen beidseits der Ruhr liegen in der Regel nicht nur sozial und städtebaulich, sondern auch geografisch Welten. Die WAZ-Lokalredaktion hat auf Basis einer Zeitungsserie die offiziell 50 Essener Stadtteile porträtiert. Und immer steht dabei ein Mensch im Mittelpunkt, der die Journalisten auf einen Spaziergang mitnahm und ihnen „sein“ Viertel zeigte.

Vera Eckardt/Frank Stenglein (Hg.): Essener Stadtteile - 50 Entdeckungen. Klartext-Verlag, 200 Seiten, viele Bilder, 14,95 Euro.

Wohnen in Essen in neun Jahrhunderten

Wohnen und Wohnhausbau in Essen - ein weites Feld. In 73 kurzen Kapiteln, jeweils aufgehängt an einem exemplarisch ausgewählten Haus, führt der Autor quer durch die Stadt. Es geht um Ästhetik, Moden und gesellschaftliche Trends und wie sie sich in der Architektur niederschlugen. Die Palette reicht von der Großbürgervilla bis zur Toilettenfrage in Arbeiterwohnungen, von den Relikten landwirtschaftlicher Höfe bis zur Philosophie des Hochhauses, von der Stuck-Orgie bis zur Backstein-Optik, vom exakt geplanten Reformbau-Viertel bis zum finsteren Billig-Block. Ein ganz eigener, kundiger Spaziergang durch die Essener Geschichte.

Robert Welzel: Essener Streifzüge. Von Haus zu Haus durch neun Jahrhunderte. Klartext, 190 Seiten, viele Bilder 9,95 Euro