Essen. . „Superhero“ erzählt die Geschichte eines krebskranken Jungen: Im Schauspiel Essen wird daraus ein ebenso berührender wie sterbenskomischer Abend.
Bevor es ans Sterben geht, wird gerne noch einmal die Liste der letzten Dinge hervorgekramt. Was gilt es noch unbedingt zu tun vor dem großen Finale: ein Fallschirmflug, eine Reise an den Amazonas, eine Wanderung durch die Anden? Für den sterbenskranken Donald, der gerade 14 ist und an Leukämie leidet, ist die To-do-Liste denkbar kurz: Er will endlich Sex haben. Womit schon mal klar ist, dass wir in Karsten Dahlems Essener Inszenierung von „Superhero“ nicht nur einem Todgeweihten beim Sterben zusehen, sondern einen durchschnittlichen, Testosteron-gesteuerten Teenager auf seinem ziemlich kurzen Weg zum Erwachsenwerden begleiten. Der will, was alle 14-Jährigen wollen: Verabredungen, erotische Abenteuer – und Haare.
Donald hat keine Haare mehr nach der Strahlentherapie. Schon die Eingangsszene dieses nicht nur für Jugendliche gehaltenen Stücks, gelingt grandios. Wenn Philipp Noack als Donald im übergroßen Sweater auf die Bühne schlendert, ein bisschen verlegen, ein bisschen draufgängerisch, seine erotische Offerte herausschleudert und dann allmählich die Augenbrauen mit Pflaster abklebt, dann den Schädel, um sich gleich wieder mit einer Mütze vor den mitleidigen Blicken zu tarnen, vor allem vor dem Blick von Shelley, seiner Traumfrau.
Der „Miracle Man“ wird zum Abwehrkämpfer
Alles verwandelt sich hier unmittelbar im Spiel, wird szenisch angerissen wie eine knappe Regieanweisung und gerät dabei doch lebensecht und anrührend. Wie schon die Vorlage von Anthony McCarten mutig mit Pathos und Popkultur jongliert, mit einer schnoddrigen Erlösungs-Komik und knapper Comic-Sprache, hält auch Dahlems Inszenierung gekonnt die Balance zwischen emotionaler Betroffenheit und greller Überzeichnung.
Auf der von Inga Timm ausgestatteten Bühne braucht es dafür keine bedrohlichen Apparate und Krankenhaus-Kittel. Im Grunde ist es Donalds innere Erlebniswelt, die die Geschichte trägt. Und die spielt meist in einem drehbaren, gläsernen Container, der mal Behandlungsraum ist, mal die Welt von „Miracle Man“: die Superhelden-Figur, die Donald zum Alter Ego gemacht hat, wie einen inneren Abwehrkämpfer gegen Bedrohungen aller Art.
Wenn sich Miracle Man mit Krach, Bumm, Bäng ins Abenteuer stürzt, um Erzfeind Gummifinger mit seiner Laserkanone zu schlagen, dann kämpft Donald in Wahrheit gegen Feinde wie Kobald 60 und Neon 20, die sein „Inneres zum Brodeln bringen wie ein Fertiggericht in der Mikrowelle“. Szenisch ist das überzeugend gelöst, mit Comic-Projektionen von Chris Brackmann, die den Container zur Bilderbühne machen, während Hajo Wiesemann und Bastian Ruppert für den treibenden Live-Sound sorgen.
Vom Buch auf die Bühne
Der neuseeländische Autor Anthony McCarten hat „Superhero“ 2005 als Roman herausgebracht. 2012 wurde das Buch unter dem Titel „Am Ende eines viel zu kurzen Tages“ verfilmt.
Die Essener Inszenierung ist wieder am 21./29. Dezember und 15./18./29. Januar, 19 Uhr, in der Casa zu sehen. Tickets (17 Euro) unter 81 22-200.
Überhaupt zeigt Dahlems „Superhero“-Adaption geschickt, wie man die spiegelglatte Oberfläche der Popkultur mit ihren Sprechblasen und schnellen Schnitten immer wieder durchlässig macht für Angst, Verzweiflung und Traurigkeit. Anders als seine Mutter Renata, die tonnenweise Fachliteratur verschlingt und peinigenden Durchhalte-Optimismus verbreitet, bekämpft Donald diese Gefühle mit der Flucht in seine Fantasiewelt. Dass seine Eltern die dazugehörige Coolness dabei mit Selbstaufgabe verwechseln, beschert ihm dann noch die Bekanntschaft mit dem Therapeuten Adrian.
Sven Seeburg meistert der Rollenwechsel zwischen Seelenklempner und Vater mühelos. Ines Krugs Mutterfigur bewegt als hilflose Helferin. Jaëla Carlina Probsts Shelly trifft den flirrenden Teenie-Ton, aufreizend-lässig, aber kein bisschen lolitahaft. Und Philipp Noack gelingt es, diesen Donald als einen bleichen Rebellen voller aufmüpfiger Energie und trotzigem Galgenhumor zu zeichnen, der seine Herzenswünsche auch als Todgeweihter nicht bloß ins Reich der Fantasie verbannen will. Großer Premierenapplaus.