Essen. . „Das rebellische Bild“ im Museum Folkwang zeigt die Entstehung der subjektiven Fotografie Ende der 70er: Tastende Versuche und erste Meisterwerke
Das Jahr 1978 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte der Foto-Stadt Essen: Mit dem Tod von Otto Steinert, der über Jahrzehnte hinweg die Fotografen-Ausbildung an der Folkwang-Hochschule geprägt hatte, befand sich die Fotografen-Ausbildung an einer Wegscheide: Sollte sie weiter die journalistische Ausrichtung nehmen oder Kurs auf das Foto-Design nehmen, wie es Steinerts ehemaligem Assistenten Erich vom Endt vorschwebte?
Die Studierenden entschieden sich, tatkräftig unterstützt von Ute Eskildsen, der neuen Foto-Kuratorin am Folkwang Museum (die ebenfalls eine Zeit lang Assistentin gewesen war), für einen dritten Weg: die subjektive Fotografie.
Amateure zeigen Alltagsbeobachtungen
Deren Entstehung in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren zeichnet die neue Foto-Ausstellung im Folkwang nach, zugleich illustriert „Das rebellische Bild“ diesen Entwicklungssprung der deutschen Fotografie. Heute kaum noch vorstellbar: Das hehre Folkwang öffnete sich sogar der Fotografie von Amateuren und Laien, deren Alltagsbeobachtungen im Ruhrgebiet 1981 in der Reihe „Aspekte der Großstadt“ ausgestellt wurden – da hingen dann Bilder der Profi-Fotografen neben denen von Kassiererinnen und Studenten, von Zöllnern, Schülern und Metzgern.
Und in der Tat waren die neuen, radikal „subjektiven“ Bilder ja gerade geprägt von schiefen Perspektiven und zufälligen Ausschnitten, von unverschämter Willkür (auch im Abbilden von nackter Haut) und einer Absage an technische Perfektion bis hin zur Nutzung einer neuen Ex- und-hopp-Technik wie der Polaroid-Fotografie.
„Neue Deutsche Unschärfe“
Die Folkwang-Lehrerin Angela Neuke-Widmann sprach damals verächtlich von der „Neuen Deutschen Unschärfe“ – heute ist dieser Begriff zum Markenzeichen eines Aufbruchs geworden, der mit dem Erfolg des Turner-Preisträgers Wolfgang Tillmans einen gewissen Höhepunkt erreichte.
Studenten wie der junge Andreas Gursky, der später in die so ganz anders, radikal dokumentarisch und sachlich tickende Becher-Klasse nach Düsseldorf wechselte, oder Joachim Brohm etwa rückten damals in den Focus, was alle sahen, aber keiner fotografierenswert fand: Supermarkt-Parkplätze und die Pfeiler von Autobahnbrücken; andere machten sich selbst und ihre Freunde zum Thema und überhaupt wechselten alle vom strengen Schwarz-Weiß zur noch jungen Farbfotografie.
Mit tastenden Versuchen, die nun im Folkwang ebenso ausgestellt sind wie echte Meisterwerke etwa von Joachim Brohm, der bald mit radikal offener Blende dem sprechenden, ja schreienden Detail in der vernarbten Industrielandschaft Ruhr zum großen Auftritt verhalf.
Infos zur Ausstellung
„Das rebellische Bild“ ist Teil eines Ausstellungs-Trios, das vom Sprengel-Museum Hannover mit der Schau „Und plötzlich diese Weite“ grundiert wird, während C/O Berlin den Aspekt der Kreuzberger Werkstatt für Photographie ausleuchtet.
Die Folkwang-Schau läuft bis zum 19. Februar 2017; der gemeinsame, höchst aufschlussreiche Katalog kostet 39,80 €.