Familienforscher, Geschichtsinteressierte, Nostalgiker: Für alle gibt es im Essener Stadtarchiv viel zu entdecken

Da gingen fast die Stühle aus: Eine große Zahl Geschichtsinteressierter hatte sich am "Tag der Archive" in den beengten Räumen an der Steeler Straße 29 eingefunden. Stadtarchivar Dr. Klaus Wisotzky informierte über die Geschichte, die Bestände und die Aufgaben des Archivs. Er zeigte besonders wertvolle Dokumente, darunter eine riesige Kaiserurkunde aus dem Jahr 1623, verfasst von Ferdinand II, oder das Protokollbuch der Stadtverordnetenversammlung, in dem sich 1896 Kaiser Wilhelm II verewigt hatte. Auch das erste Stahlbuch gab er zur Ansicht frei, mit Hitler und Göring als ersten Eingetragenen.

Das Archiv wurde im 13. Jahrhundert angelegt - zu dieser Zeit entwickelte sich Essen langsam zu einer Stadt. Lange konnte von einer geplanten und strukturierten Archivarbeit noch keine Rede sein. Beispiel: Im Jahr 1504 suchten - laut Stadtrechnung - Bürgermeister, Rentmeister und Stadtschreiber zwei Tage nach einem wichtigen Schreiben. Schließlich waren die Dokumente an verschiedenen Orten verteilt. Daher entschlossen sich die Preußen 1802 nach ihrem Einmarsch, das gesamte historische Material in einen Nebenraum des Rathauses zu bringen. Hier herrschte völliges Chaos, so dass der damalige Bürgermeister befand: "Keiner ist bereit, seine Gesundheit zu opfern, um die in Staub und Dreck liegenden Papiermassen zu ordnen." Das sollte erst Anfang des 20. Jahrhunderts dem Geschichtslehrer Konrad Ribbeck gelingen.

Nach einem zwischenzeitlichen Umzug nach Duisburg, wo Taubendreck, Mäuse und Ungeziefer am historischen Bestand nagten, wanderte das Archiv in feuchte Klostergemäuer: Der dort wuchernde Schimmel ziert noch heute einige Stücke. Zudem fehlen in Essen fast alle politischen Akten der 20er und 30er Jahre. Sie verbrannten im Rathauskeller nach einem Bombentreffer. Doch trotz aller Widrigkeiten haben erstaunlich viele Dokumente die Zeit überdauert. Daher gehört das Essener Archiv zu den bedeutendsten Kommunalarchiven in Deutschland.

Doch: Erst seit 1936 hat Essen einen hauptamtlichen Archivar. Heute hält die Stadt den traurigen Spitzenwert für Akten pro Mitarbeiter. Mit dem geplanten "Haus der Essener Geschichte" in der ehemaligen Luisenschule soll aber alles besser werden. Und der Eintritt frei bleiben. cmf