Die Leitstelle der Polizei versieht eine für den Normalbürger unsichtbare, aber wichtige Aufgabe.Gerade zwischen den Jahren wird der Notruf auch als Kummerkasten missbraucht. Ein Ortstermin
Wenn ein Nicht-Polizist Gerhard Schumacher besuchen will, und das kommt eher selten vor, durchquert er am Ende eines der langen, kargen Korridore im Polizeipräsidium Essen zunächst einen Trakt, der aussieht wie der ganz und gar zivile Newsdesk der WAZ: eine länglich angeordnete Tischgruppe, viele Telefone und Flachbildschirme. Daran schließt sich eine Art Großraumbüro an, in dem auch ein Call-Center seine Arbeit verrichten könnte: Inselartig verstreute Arbeitsplätze, an denen Männer sitzen, die auf bunt leuchtende Monitore schauen und konzentriert-gedämpft in gepolsterte Mikrofondrähte sprechen, die ihnen aus dem linken Ohr zu wachsen scheinen. Ganz hinten vor einer Wandkarte wartet Gerhard Schumacher und begrüßt seinen Besucher mit einem freundlich-überraschten: "Was ham'se vor?"
Schumacher (55), Lesebrille, grauer Stoppelbart, grüner Dienstpulli mit vier Sternen auf der Schulterklappe, ist Hauptkommissar. Die Mischung aus Newsdesk und Call-Center ist die Leitstelle der Essener Polizei. Hier werden sämtliche Einsätze in Essen, Mülheim und in Krisenfällen auch darüber hinaus koordiniert. Dienstgruppenleiter Schumacher und sein Team leisten eine für den normalen Bürger unsichtbare, für ihre Sicherheit gleichwohl unverzichtbare Arbeit.
Jeder Notruf landet in der Leitstelle, muss dort bewertet und in Einsatzkommandos umgesetzt werden. Ruhestörungen, Verkehrsunfälle und Taschendiebstähle werden gemeldet, ebenso Banküberfälle, Geiselnahmen und grausame Todesfälle. Auch Einsame, Lebensmüde, Betrunkene und Verwirrte sind immer wieder in der Leitung. "Das ist nichts für Polizeischüler", brummt Gerhard Schumacher. Man benötige Ruhe und Erfahrung, um die Lage richtig einzuschätzen. "Wir können uns nicht erlauben, nervös zu werden", sagt er.
Nicht nur, aber vor allem zur Weihnachtszeit ist in der Leitstelle Psychologie gefragt. Menschen, denen ihre Einsamkeit über die Feiertage bewusst wird, rufen die Polizei an. Aber auch Familien, die sich in den geballten Tagen der Harmonie zerstritten haben. Für Schumacher, der seit 1992 in der Leitstelle arbeitet, ist vieles Routine. Und doch wieder nicht. "Wenn jemand anruft und sagt, mein Kind liegt hier tot in der Wohnung, schütteln Sie das nicht einfach nach Feierabend aus den Kleidern. Das geht einem schon nahe." Einen Großeinsatz nach einer Geiselnahme mit Toten und Verletzten vor zehn Jahren etwa werde er niemals vergessen, "auch wenn ich hundert werde".
Schumachers Leute müssen sich stets selbst kontrollieren, weil sie all die nervösen, fahrigen, verzweifelten, hyperventilierenden Anrufer im Gespräch emotional stabilisieren müssen. Diese kernig-kurzen "Danke, wir kommen-sofort"-Telefonate gibt es wohl nur im Fernsehen. Jedes Gespräch wird aufgezeichnet und im Zweifel nachträglich analysiert. Deshalb muss die Leitstelle jeden Anrufer ernst nehmen, selbst wenn das nicht immer leicht fällt. Es gibt offenbar nicht wenige Menschen, die den Notruf als persönlichen Kummerkasten missbrauchen. Das Handy-Zeitalter ist Segen und Fluch: Es gebe hochprofessionelle Zeugen, die wirklich helfen, und Spinner, die nur Arbeitszeit kosten. Nur: Vorher weiß man es leider nicht.
Da war etwa der Anrufer, der Gerhard Schumacher "unter Volldampf" im Spätdienst erwischte, um entrüstet anzuzeigen, dass das Licht in seinem Haus ausgefallen sei. Bei ein wenig mehr Zeit hätte der freundliche Herr Schumacher sogar hier helfen können. Er hat vor seinem Polizistenleben Elektriker gelernt.Die Leitstelle im Polizeipräsidium koordiniert die Arbeit von rund 2000 Polizisten bei ihren Einsätzen in Essen und Mülheim. Sie ist die wichtigste Gelenkstelle und bestimmt die "Einsatzmittel". Darüber hinaus ist das Polizeipräsidium Essen in schwierigen Einsatzlagen auch für die Lagebewältigung in anderen Polizeibehörden entlang des Niederrheins bis zur niederländischen Grenze zuständig.