Essen. Es war das größte Musikspektakel seiner Zeit. Mit 40 000 Besuchern. Heute sind die "Songtage" fast vergessen. Zeitzeuge Detlev Mahnert (66) hat ein Buch darüber geschrieben. Er erklärt, warum es nie eine Neuauflage gab
WAZ: Im Herbst 1968 waren die Songtage. Das deutsche Feuilleton schaute auf Essen. War es auch ein Thema für die Bevölkerung?
Detlev Mahnert: Nein, weil die Szene unter sich blieb. Außerdem gab es Randerscheinungen, die unmöglich gemacht haben, dass es die Songtage nochmal geben wird.
WAZ: Was meinen Sie?
Mahnert: Zum Beispiel einen Empfang mit dem damaligen Oberbürgermeister Wilhelm Nieswandt im Saalbau, der völlig in die Hose ging.
WAZ: Warum?
Mahnert: Nieswandt war Befürworter der Songtage, weil er glaubte, Essen in ein gutes Licht rücken zu können. Schließlich hatten sich hunderte Journalisten angemeldet. Beim Empfang wollte er Künstler und Veranstalter kennenlernen. Viele Zuschauer kam uneingeladen, sie pöbelten Nieswandt an und bedienten sich beim Freibier. Viele wollten diskutieren, auch während der Konzerte.
WAZ: Worüber denn?
Mahnert: Das war eigentlich egal. Erst mal ging es darum, dass man diskutieren wollte.
WAZ: Waren die Songtage denn eine Musik- oder eine Diskussionsveranstaltung?
Mahnert: Beides. Künstlerisch war die gesamte Breite abgedeckt - Chanson, Jazz, Folklore, Kabarett. Aber es gab auch einen politischen Anspruch. Das hat aber nicht funktioniert, weil das Programm zu groß wurde. Für Diskussionen blieb nur noch wenig Zeit.
WAZ: Und am Ende stand ein Artikel in der Zeitung "Ruhr Nachrichten", der von sexuellen Ausschweifungen in der Grugahalle handelte . . .
Mahnert: Der Text ist großteils erfunden. Wahr ist nur, dass eine Kölner Kabarettgruppe auf der Bühne die Hosen 'runterließ. Und jemand zitierte das Vaterunser in einer verfremdeten Version. Deshalb wurde später die Staatsanwaltschaft aktiv: wegen Gotteslästerung. Die Ermittlungen wurden eingestellt.
WAZ: Den Oberbürgermeister angepöbelt, ständig Diskussionen, die Staatsanwaltschaft ermittelte - klingt, als ob die Songtage Chaostage waren.
Mahnert: Keineswegs! Ein Großteil der Veranstaltungen lief gesittet ab. Es gab hervorragende musikalische Beiträge, wie zum Beispiel das Frank-Zappa-Konzert. Die Leute vom Fernsehen mussten sich die wenigen langhaarigen Besucher extra zusammenstellen, um die gewünschten Bilder zu bekommen. Und die Musikrichtung "Kraut Rock" wurde in Essen geboren.
WAZ: Die Gruppe "Amon Düül" trat auf mit Uschi Obermeier, die die Rasseln schwang . . .
Mahnert: Genau, und im Publikum saß Rainer Langhans von der Kommune 1 aus Berlin. Da hat er sich offenbar sofort in sie verliebt und mitgenommen in seine Wohngemeinschaft.
WAZ: Warum haben Sie ein Buch darüber geschrieben?
Mahnert: Ich will, dass sie nicht vergessen werden. Sie waren, sind und bleiben ein Meilenstein der Musikgeschichte. Der WDR zeichnete alles auf - aber die Tonbänder verschwanden. Es gibt keine Aufnahmen. Martin Spletter D. Mahnert, H. Stürmer: Zappa, Zoff und Zwischentöne. Essener Songtage 1968, Klartext Verlag, ab Juni 2008
Zum Thema: Videointerview mit Fotostrecke - Zappa, Zoff und Zwischentöne