Rafael Sanchez inszeniert Molières "Tartuffe" im barock anmutenden Gewand. Doch der Schein trügt nicht selten in dieser abgründigen Komödie. Nächste Woche Dienstag ist die Premiere im Grillo-Theater

Im Café Overbeck sprach eine ältere Dame einen jungen Mann an: "Was machen Sie denn so", fragte sie. "Ich bin Regisseur am Grillo-Theater", antwortete er. "Ach", sagte sie, "da geh' ich nicht mehr hin. Das ist so modern." An Rafael Sanchez ging diese Begegnung nicht spurlos vorüber. Er hat sich zu "einem Theater, wie man es sich vorstellt" hinreißen lassen und inszenierte "Tartuffe" gegen den Trend.

Statt eines zeitgemäßen Gewands, das schnell Aktualität suggeriert, wählte er Versmaß, Barock-Kostüme, Barock-Musik und eine barock anmutende Bühne. "Man hat das Gefühl, im Jahr 1669 zu sein, und dringt nur langsam durch die Kleidermassen zum Kern vor", meint der 33-jährige Schweizer. Denn nichts ist wie es scheint in seiner Version von Molières meistgespielter Komödie. Der Barock sei mit modernen Mitteln hergestellt worden und die Musik habe etwas Manipuliertes, erläutert er.

Wie passend. Geht es doch in dem Stück, das zu seiner Zeit hochbrisant war und mehrfach verboten, um Täuschung und Manipulation: Der Betrüger Tartuffe verbirgt sich hinter der Maske der Frömmigkeit, um den wohlhabenden Orgon auszunehmen. Geschickt verfolgt er seine materiellen und sexuellen Ziele und bringt eine ganze Familie an den Rand des Abgrunds. Der Hausherr ist ihm verfallen, dessen Mutter auch. Da haben weder Orgons weitsichtiger Schwager Cléante noch die schlaue Hausangestellte Dorine eine Chance.

"Die Grundmetapher der Verführbarkeit scheint es einem leicht zu machen. Sie ist ja heute noch aktuell. Doch man vergisst, dass das Stück vier Stunden dauert und die Szenen unglaublich genau geschrieben sind. Man kommt mit seinen eigenen Ideen nur schwer hinein", erklärt Rafael Sanchez, der bereits Lorcas "Bluthochzeit" auf die Grillo-Bühne brachte.

Um das Beziehungsgeflecht bloß zu legen, hat der Regisseur "Passagen, die uns nichts mehr sagen" gestrichen und das Stück um gut die Hälfte gekürzt. In den schonunglos gezeichneten Figuren offenbaren sich Skrupellosigkeit, Scheinheiligkeit, Egoismus. "Es gibt keine guten Figuren in ,Tartuffe', jede kämpft für sich selbst. Jede scheitert für sich. Die Überheblichkeit, dass man sich selbst rettet, kann man hier vergessen", so Sanchez, der im besten Fall "viele Modelle für das Versagen" zu Tage fördern und dem Zuschauer einen Spiegel vorhalten will.

Schließlich ist jeder verführbar. So kann Rafael Sanchez dem Theater nicht widerstehen. "Nicht nur, weil ich die Welt verbessern will", sagt der gebürtige Baseler und denkt dabei auch an "Geltungsdrang und Adrenalin-Kick". Als er nun nach Jahren des Tingelns die Leitung des Theaters am Neumarkt in Zürich angeboten bekam, wurde er schwach. Ab kommender Spielzeit übernimmt er mit Barbara Weber, die ebenfalls in Essen arbeitete, die Bühne: "Es ist ein Luxus, bei Leseproben nicht immer vor neuen Schauspielern zu sitzen, sondern eine eigene Theaterfamilie zu haben."Wegen der Erkrankung des Schauspielers Siegfried Gressl wurde die "Tartuffe"-Premiere auf den 27. Mai verschoben. Werner Strenger hat die Rolle des Orgon übernommen. Des Weiteren sind u. a. Andreas Grothgar (Tartuffe), Bettina Engelhardt (Elmire), Kristina Peters (Marianne), Jutta Wachowiak (Orgons Mutter) und Sabine Osthoff (Dorine) zu erleben. Bühne: Thomas Dreißigacker. Kostüme: Ursula Leuenberger. Musik: Cornelius Borgolte. Karten unter: Tel: 8122-200.