In Essen werden pro Jahr rund 5000 Babys geboren - nicht alle in die besten Verhältnisse. Über das Projekt "Sicherer Start" beugen Ärzte, Hebammen, Kliniken und Jugendamt Kindsgefährdungen vor. Ausbau geplant
Erkennbar stolz präsentierten die Eltern ihren Nachwuchs. Friedlich saß der Säugling im Wohnzimmer - in einen Autositz gezwängt vor dem laufenden Fernseher, in trauter Gesellschaft zum Familienhund. Mutter und Vater, arbeitslos, ungelernt und im Umgang mit einem Baby arg unbedarft, hätten keinerlei Problembewusstsein gezeigt, erinnert sich Maresi Spee. "Sie wussten es einfach nicht besser."
Maresi Spee arbeitet als Kinderkrankenschwester im Elisabeth-Krankenhaus und engagiert sich gemeinsam mit Ärzten, Hebammen, sozialen Diensten und Mitarbeitern des Jugendamtes im Projekt "Sicherer Start", einem der stadtweit wichtigsten Präventionsprogramme gegen Kindesmisshandlung. Was 2004 als Idee reifte, hat im vergangenen Jahr erstmals in größerem Rahmen gegriffen: Eltern, die mit ihrem Baby überfordert sein könnten, sollen frühzeitig und freiwillig Hilfe in Anspruch nehmen. Ein Pool aus 16 Hebammen und zwei Kinderkrankenpflegediensten begleitet diese Familien bis zu ein Jahr lang, manchmal sechs Stunden pro Woche. Fläschchen und Formulare, Pflege und Förderung - die Unterstützung ist breit angelegt und eine Art Lebenshilfe für Eltern und Kind. "Unser Angebot richtet sich nicht sofort an Gefahrengruppen. Wir wollen vermeiden, dass Gefährdungssituationen entstehen", erklärt Lisa Schwermer. Koordinatorin beim Gesundheitsamt.
Bis zum Februar wurden 51 Eltern betreut, was pro Fall durchschnittlich 900 Euro kostete. Es nehmen vornehmlich junge Mütter zwischen 18 und 21 die Hilfe in Anspruch, die aus sozial schwachen Verhältnissen kommen. Wieviele Essener Kinder zur Welt kommen, die deratiger Hilfe eigentlich bedürften, ist schwer zu beziffern. Es gibt eine Faustregel, nach der etwa 5 bis 7 Prozent der stadtweit rund 5000 Neugeborenen jährlich besonderen Risiken ausgesetzt sind.
Deshalb soll das Projekt "Sicherer Start" ausgebaut werden. Andrea Macher vom Jugendamt wünscht sich mindestens weitere zehn Hebammen für die Familienbegleitung. Außerdem soll die Ansprache der Eltern systematisiert werden. Bislang ist man auf engagierte Mediziner wie Gynäkologin Orelia Bartling und Kinderarzt Engelbert Kölker oder Kinderkrankenschwestern wie Maresi Spee angewiesen, die bei Auffälligkeiten die Hilfe vermitteln. Werden Untersuchungstermine verpasst, macht der Säugling einen ungepflegten Eindruck, wirken die Eltern übermäßig gestresst oder mit den Bedürfnissen eines Babys wenig vertraut, wird das Hilfsnetzwerk aktiviert.
Das soll nun Schule machen. "Wir brauchen eine Veränderung in den Köpfen", sagt Kölker. Es dürfe keine "Schutzreflexe" gegenüber behördlicher Hilfe mehr geben. Möglichst viele Stellen, die mit Eltern zu tun haben, müssten die Augen offen halten.
Erleichtert werden könnte die Arbeit des Projektes "Sicherer Start", wenn der bislang erprobte städtische Elternbesuchsdienst bei Neugeborenen-Familien stadtweit ausgebaut wird. Dann hätten die Helfer leichter einen Fuß in der Tür - im Wortsinn.Das Projekt "Sicherer Start" wäre ohne die Unterstützung von Sponsoren nicht möglich. Der "Round Table 26", eine Vereinigung junger Männer aus unterschiedlichen Berufen, hilft unter anderem bei der Finanzierung von verschiedenen Eltern-Kind-Projekten wie Baby-Schwimmen, Babymassage oder Krabbelgruppen. Außerdem organisiert der Sponsor Sommer- und Weihnachtsfeste, deren Erlöse ebenfalls den jungen Eltern helfen.