Essen. . Vater und Sohn müssen sich in Essen wegen Totschlags verantworten. Sie sollen ihrer pflegebedürftigen Ehefrau und Mutter jede Hilfe versagt haben.
- 76- Jahre alte Frau lag völlig abgemagert auf einer Matratze in einer Essener Wohnung
- Laut Anklage ließen Vater und Sohn die pflegebedürftige Frau verhungern
- Männer müssen sich seit Dienstag wegen Totschlags durch Unterlassen vor Essener Schwurgericht verantworten
Nackt, abgemagert bis auf die Knochen lag die 76-Jährige auf einer Matratze in ihrer Wohnung. Der Notarzt stellte nur noch den Tod der Frau fest. Verantwortlich dafür sollen ihr Ehemann und ihr Sohn sein, die die pflegebedürftige Frau laut Anklage verhungern ließen. Wegen Totschlags durch Unterlassen müssen die beiden sich seit Dienstag vor dem Essener Schwurgericht verantworten.
Vor über einem Jahr, im Mai 2015, hatte die Frau zuletzt im Krankenhaus gelegen. Sie litt an Darmentzündungen und Wahnvorstellungen. Dass sie pflegebedürftig ist, sagten die Ärzte den Angehörigen.
Doch es geschah nichts, sagt die Anklage. Nach fünf Monaten war sie tot. Die Frau lebte mit ihrem 78 Jahre alten Ehemann in einem 14-Parteien-Haus im bürgerlichen Essener Stadtteil Rüttenscheid. Nebenan wohnte der alleinstehende Sohn, 47 Jahre alt. Er soll sich täglich in der elterlichen Wohnung, zu der er einen Schlüssel besaß, aufgehalten haben.
Vor Gericht schweigen die Angeklagten
Was genau in den fünf Monaten des Sterbens bis zum 30. Oktober 2015 geschah, ist nicht bekannt. Vor Gericht schweigen die Angeklagten. Der Vater soll dement sein. Ein vorläufiges Gutachten bescheinigt ihm Schuldunfähigkeit. Deshalb könnte er freigesprochen werden. Die Einweisung in die geschlossene Psychiatrie wegen Wiederholungsgefahr droht ihm nicht, weil sich so eine Situation wohl nicht wiederholen wird. Das Urteil für den Sohn könnte härter ausfallen. Er gilt als voll schuldfähig. Das Schwurgericht gab bereits den Hinweis, dass wegen Grausamkeit auch eine Verurteilung wegen Mordes erfolgen könne. In diesem Fall lautet das Urteil auf lebenslange Haft.
Die Angeklagten, vor allem der Vater, sitzen im Saal, als ob es nicht um ihre Familie gehe. Es sind Sätze der Zeugen, die erschüttern. Der 34 Jahre alte Notarzt hatte die Frau gefunden, die Totenstarre war bereits eingetreten. 29 Kilo wog die Leiche, 157 Zentimeter war sie groß. Die Muskelmasse sei nicht mehr vorhanden gewesen, berichtet er, die Haut habe auf den Knochen gelegen. In einer offenen OP-Narbe hätten Küchentücher gesteckt. „Ich mach’ den Beruf nicht erst seit gestern“, sagt er, „aber das habe ich noch nie gesehen“.
„Ich habe gedacht: Diese Bilder kennst du von Auschwitz“
Nach seiner Aussage bleibt er im Saal. Auch das ist ungewöhnlich. So hört er, welchen Eindruck ein Kripo-Beamter hatte: „Ich habe gedacht: Diese Bilder kennst du von Auschwitz. So sah es aus, als sie da lag.“ Pflegemittel und Medikamente gab es nicht, stellten die Ermittler fest.
Es gibt Hinweise, dass die 76-Jährige wegen ihrer Wahnvorstellungen und aus Angst vor Schmerzen im Darmtrakt nicht essen wollte. Aber rechtlich dürfen Angehörige diesem Wunsch nicht folgen, sie müssen für die Versorgung eines pflegebedürftigen Menschen sorgen. Doch es gab wohl keinen Versuch von Vater und Sohn, einen Pflegedienst zu beauftragen. Den Alltag bewältigen konnten sie aber. Der Notarzt: „Die Wohnung außerhalb des Schlafzimmers war eine normale Essener Wohnung: aufgeräumt, viele Bücher.“