Als Annette Berg vor zwei Jahren die Leitung des Jugendamtes übernahm, betitelten wir das Portrait über den Neuzugang aus Monheim: „Sie sucht die Herausforderung“. So liegt nun der milde Spott nahe, die 49-Jährige habe wohl wieder mal die Herausforderung gesucht. Berg winkt ab: Sie habe nicht gesucht, sondern sei gefragt worden, ob sie in Gelsenkirchen Dezernentin für Bildung, Jugend, Kultur, Sport und Integration werden wolle.
Das Ja zum neuen Job sei ihr nicht leicht gefallen, auch weil sie wisse, „dass ich hier ein noch nicht fertig bestelltes Feld hinterlasse“. Andererseits reizte sie nach 17 Jahren Jugendamt – schon in Monheim war sie in gleicher Position wie in Essen – der Riesenfachbereich, der größere Verantwortung und ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten biete.
Für eine, die nach eigener Auskunft eigentlich immer alles zu Ende gebracht hat, ist das eine neue Erfahrung. Eine mit beeindruckenden Zahlen unterfütterte Erfolgsbilanz, wie sie sie aus Monheim mitbrachte, kann sie hier noch nicht vorlegen. Doch auch in Essen habe sie das Thema gelingendes Aufwachsen mit Bildungserfolg für alle Kinder als das Hauptziel des Jugendamtes betont. Ein Ziel, das man mit früher Hilfe und sinnvoll vernetzten Angeboten erreiche. „Da haben wir gut Fahrt aufgenommen.“
Ein Baustein sei etwa der Babybesuchsdienst, der neuerdings auf Wunsch auch beim zweiten Kind kommt: Stolze 70 Prozent der bereits erfahrenen Mütter und Väter wünschten auch beim Zweitgeborenen den Besuch, der über das Leben mit Baby, über Pekip-Kurs und Kita informiert.
Die „Präventionskette“, die helfen soll, dass es erst gar nicht zu Überforderung oder handfesten Erziehungsproblemen kommt, kannte Essen auch vor Annette Berg. Sie aber lenkte den Blick auf psychisch erkrankte oder suchtkranke Eltern, deren Kinder viel Ungewissheit, Angst und Aggression aushalten müssen. Ihnen bietet die Stadt Beratung und Rüstzeug für den schwierigen Familienalltag.
Dass die Zahl der Inobhutnahmen zuletzt trotzdem anstieg, sei auch in der Flüchtlingskrise begründet: Denn jeder minderjährige Asylbewerber, der ohne Eltern hier ankommt, wird formal vom Jugendamt in Obhut genommen, bekommt einen Vormund. 21 dieser Jugendlichen betreute die Stadt vor einem Jahr, heute sind es 450. Anfangs standen die Jungs schon mal auf den Fluren des Amtes, „und ich bin abends erst nach Hause gegangen, wenn wir ein Bett für sie hatten“. Manche Hilfe sei damals „spontan und handgestrickt“ gewesen, inzwischen sei der Krisenmodus überwunden, habe jeder unbegleitete Flüchtling einen betreuten Heim- oder WG-Platz. In dieser Lage habe das Jugendamt auch von den vielen freien Trägern profitiert, mit denen es seit langem zusammenarbeitet – und die Annette Berg in ihrem ersten Amtsjahr kennengelernt hatte. Die intensive Zeit möchte sie nicht missen: „Es war überwältigend zu sehen, wie ein Gemeinwesen eine solche Situation bewältigt.“
Von ihrem Team, das sie in dieser Zeit so zupackend erlebte, hat sie sich schon verabschiedet. Nun verreist sie eine Woche, bevor sie ihr neues Büro in Gelsenkirchen bezieht. In Essen stehe nun die Integration der jungen Flüchtlinge auf der Tagesordnung, die Stadt müsse bis 2020 gut 3000 Kita-Plätze schaffen und Kinderschutz sei ja Daueraufgabe. Kurz: Auch ihr Nachfolger sollte die Herausforderung suchen.