Essen. Bei Asyl-Unterkünften verlangt das Essener Bürgerbündnis eine Kehrtwende über das bisher Zugesagte hinaus. Auch Stadt sieht Gefahr von Leerständen.

  • Die Zahl der Flüchtlinge in städtischen Unterkünften sinkt, das Bauprogramm wird aber weiter abgearbeitet
  • Das Essener Bürgerbündnis fürchtet Leerstände und fordert den Verzicht auf weitere 1200 Unterkunftsplätze
  • Die Stadt sieht das offenbar ähnlich: „Wir nähern uns den EBB-Forderungen an“, heißt es

Städtische Asyl-Unterkünfte mit fast 10.000 Plätzen hielt die Stadtverwaltung noch vor wenigen Monaten für zwingend nötig und setzte dies auch im Rat der Stadt durch. Beim Essener Bürgerbündnis (EBB) verglich man Flüchtlingszahlen und Asyl-Plätze und fand heraus: Essen baut auf Vorrat viel zu viel und droht hohe zweistellige Millionenbeträge zu verschwenden. Es folgte ein Rückzug auf Raten, mit Streichung mehrerer Standorte, doch Udo Bayer, EBB-Fraktionschef im Rat, ist noch nicht zufrieden: „Nach unserer Rechnung will Essen immer noch rund 1200 Plätze zu viel bauen.“ Dies entspräche immerhin rund 30 Millionen Euro Baukosten und sei folglich eine „gigantische Geldverschwendung“.

Fehlannahmen aus Sicht des EBB

Bayer zufolge basiert die Rechnung der Stadt auf zwei Fehlannahmen: Erstens überschätze man im Rathaus immer noch generell die Zahl der Flüchtlinge, die in städtischen Einrichtungen unterkommen müssten. „Ich bin sicher, am Jahresende bewegen wir uns in Richtung 3500.“ Die Stadt plant hingegen im Dezember 2016 mit knapp 4400 Belegungen, ein Niveau, das sie dann mit leicht steigender Tendenz bis Ende 2017 fortschreibt. Das ist zwar deutlich weniger als noch vor einiger Zeit, aber deutlich mehr als Bayer es für realistisch hält.

Zweite Fehlannahme aus Sicht des EBB: „Die Zahl der monatlichen Abgänge entwickelt sich viel dynamischer als die Stadt meint.“ Die Sozialverwaltung unterschätze die Zahl der Flüchtlinge, die auf dem privaten Wohnungsmarkt unterkämen, der gerade in den einfachen Lagen im nördlichen Ruhrgebiet noch auf absehbare Zeit relativ entspannt bleibe. „Da ist ja nicht nur Essen ein Ziel, sondern auch die Nachbarstädte.“

Bayer schätzt, dass rund 350 Flüchtlinge pro Monat die städtischen Einrichtungen in Richtung eigene Wohnung verlassen und nicht 2010, wie die Stadt meint. All das sei Grund genug, über die bisher schon stornierten Bauprojekte hinaus weitere auf die lange Bank zu schieben oder gleich abzusagen, selbst wenn teilweise schon Planungs- und erste Baukosten angefallen seien. „Das muss nicht alles vergebens gewesen sein, irgendwann lässt sich darauf vielleicht eine normale Bauplanung aufbauen“, so Bayer.

Mietverträge für 2334 Plätze

Oberbürgermeister Thomas Kufen hatte gegenüber dieser Zeitung bereits vor einer Woche mehr als ein halbes Dutzend Asyl-Standorte genannt, die vorerst wohl nicht gebraucht würden. Udo Bayer sieht beim OB einige Bereitschaft für weiteres Umdenken und fordert Kufen auf, sich auch die neuen Zahlen der Sozialverwaltung noch einmal kritisch anzuschauen.

Äußerst spitze Finger bei weiteren Bauaufträgen seien auch deshalb geboten, weil viele Aufträge schon jetzt gar nicht mehr rückgängig zu machen sind. „Feste, langfristige Mietverträge gibt es für 2334 Plätze, 2400 Neubau-Plätze im Eigentum der Stadt sind entweder bereuits fast fertig oder in verschiedenen Stadien der Auftragsvergabe - hier hält Bayer die besagten 1200 Plätze Ersparnis für möglich. Hinzu kommen rund 1000 Plätze in Behelfseinrichtungen, die laut EBB keineswegs alles so marode seien, dass nur der Abriss bliebe. „Das sind schon jetzt deutlich mehr Plätze, als gebraucht werden“, so Bayer.

In der Stadtverwaltung will sich derzeit niemand mit Namen zitieren lassen. Aber: „Wir werden einen Vorschlag unterbreiten, der den Vorstellungen des EBB sehr nahe kommt“, heißt es.