Essen. Essen will bis zu 2500 Flüchtlinge in die Bundesländer zurückschicken, aus denen sie hergezogen sind. Wer vor dem 6. August kam, darf bleiben.
Mit Sorge beobachten Sozialverbände, dass Flüchtlinge, die bereits in Essen Fuß gefasst haben, in andere Bundesländer zurückgeschickt werden. Möglich macht es das neue Integrationsgesetz, das Asylbewerbern vorschreibt, drei Jahre lang in dem ihnen zugewiesenen Bundesland zu bleiben. Es trat am 6. August in Kraft und kann rückwirkend bis zum 1. Januar 2016 angewendet werden. Allein in Essen wären einige Tausend Menschen betroffen.
Vom Jahresanfang bis zum 6. August zogen 1662 Flüchtlinge aus anderen Bundesländern nach Essen, sagt Sozialdezernent Peter Renzel. Sie sind bereits in der Stadt angemeldet und haben eine eigene Wohnung bezogen; oft besuchen die Eltern Sprachkurse, die Kinder gehen in die Kita oder zur Schule. „Viele Familien haben hier schon erste Wurzeln geschlagen“, sagt Renzel. Darum nutze man in diesen Fällen den gesetzlichen Spielraum und lasse die Betroffenen in Essen; „zumal sie im guten Glauben hierhergezogen sind, dass sie das Recht haben, ihren Wohnort frei zu wählen“.
„Enorme finanzielle Dimension für eine Stadt“
Wer bis zum Stichtag am 6. August noch nicht in Essen gemeldet war, darf freilich nicht auf die Gnade der Stadt hoffen. „Derzeit gibt es 2500 Asylbewerber, die hier noch nicht gemeldet sind, aber einen Termin beim Ausländeramt haben“, erklärt zuständige Ordnungsdezernent Christian Kromberg. Alljene unter ihnen, die aus einem anderen Bundesland kommen, werde man dorthin zurückschicken. „Ich kann 2500 Menschen nicht einfach hier lassen. Das würde die Stadt in den nächsten Jahren Milliarden kosten“, so Kromberg. Eine Sichtweise, die das Essener Bürgerbündnis teilt, wie EBB-Fraktionschef Udo Bayer betont: „Die Leute fallen in der Regel ins Sozialnetz – das ist eine enorme finanzielle Dimension für eine Stadt, in der Schulen vergammeln.“
Unterdessen erlebt der Essener Caritas-Direktor Björn Enno Hermans, welche menschlichen Härten die Umsetzung des Gesetzes mitsichbringt. So betreue die Caritas eine syrische Familie, die im Juli aus einem Asylheim in Hessen in eine Wohnung in Essen zog. Verwandte hatten sie ermutigt, das hiesige Jobcenter hatte zugesagt, Sozialleistungen zu gewähren. Wegen der Überlastung des Ausländeramts konnte sich die Familie dort im Juli aber nicht anmelden: Sie erhielt einen Termin für den 12. August, fünf Tage nach dem Stichtag. „Da weigerte man sich dann, sie noch anzumelden. Und ohne Anmeldung zahlt das Jobcenter nichts – außer der Rückfahrkarte nach Hessen.“ Wo ihnen die Obdachlosigkeit drohe.
Es komme zu „chaotischen Menschenverschickung“
„Unsere Sozialarbeiter sind verzweifelt, die halten die Betroffenen notdürftig über Wasser, weil die keine Sozialleistungen erhalten“, sagt Hermans. Die Kollegen beim Diakoniewerk machten ähnliche Erfahrungen, nun zögen die ersten Betroffenen vors Verwaltungsgericht. Zumal jede Kommune das Gesetz anders auslege: So landete ein Flüchtling, der nach Bayern zurückgeschickt worden war, wieder in Essen: Die bayerischen Beamten wollten sich nicht um ihn kümmern, da er in Essen ja eine Wohnung habe.
Hier habe der Gesetzgeber geschlampt, kritisiert Sozialdezernent Renzel: „Nur weil es keine einheitlichen Vorgaben gibt, kommt es zu dieser chaotischen Menschenverschickung.“ Im Prinzip aber sei die Wohnsitzauflage für eine Stadt wie Essen, die zahllose Syrer, Iraker und Afghanen anzieht, überlebenswichtig. Auch innerhalb NRWs müsse der Zuzug bald geregelt werden, fordert Renzel. „Zwischen Januar und Anfang August kamen allein 3090 Asylbewerber aus anderen Teilen unseres Landes zu uns.“
Das neue Integrationsgesetz:
- Am 6. August ist das neue Integrationsgesetz in Kraft getreten, seither gilt für Asylbewerber eine dreijährige gesetzliche Wohnsitzbeschränkung auf das Bundesland, in das die Flüchtlinge im Asylverfahren zugewiesen wurden.
- Das Ausländeramt kann davon absehen, sie zurückzuschicken: Etwa wenn sie an dem neuen Wohnsitz einen Job mit mindestens 15 Wochenstunden haben, ihre Kinder dort zur Schule gehen oder sie vor dem 6. August dort eine eigene Wohnung bezogen haben.
- Essen hat eine stetig wachsende syrische Community: Von Januar 2015 bis Januar 2016 stieg die Zahl der Syrer von 1350 auf 7780; auch bei Irakern und Afghanen ist Essens Anziehungskraft groß. So begrüßt Oberbürgermeister Thomas Kufen eine „robuste Wohnsitzauflage“.